Die Staatsanwaltschaft Wien hat gegen Judo-Doppelolympiasieger Peter Seisenbacher Anklage wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses erhoben. Das bestätigte Behördensprecherin Nina Bussek am Mittwochnachmittag. Seisenbacher - Österreichs erfolgreichster Sommer-Sportler - soll als Trainer zwei ihm anvertraute Mädchen missbraucht haben. Es gilt die Unschuldsvermutung.

"Die beiden Betroffenen waren laut Anklage im jeweiligen Tatzeitraum noch keine 14", stellte Bussek fest. In einem Fall sollen sich die Übergriffe über mehrere Jahre gezogen haben. Von der Anklage ist ein drittes Mädchen umfasst, das sich gegen die Zudringlichkeiten zur Wehr gesetzt haben soll. Dieses Faktum wird von der Staatsanwaltschaft als versuchter Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses qualifiziert. Sollte es zu einem Prozess wegen mehrfachen Kindesmissbrauchs kommen, wird diesen Richter Christoph Bauer leiten.

Massive Vorwürfe

Die Staatsanwaltschaft Wien hatte seit Herbst 2013 gegen Seisenbacher ermittelt, nachdem in Judo-Kreisen schon länger Gerüchte über sein Naheverhältnis zu weiblichen, noch unmündigen Schützlingen die Runde machten. Diese waren ihm als Vereinstrainer anvertraut. Die strafrechtlichen Untersuchungen kamen ins Laufen, nachdem Betroffene direkt an die Staatsanwaltschaft herangetreten waren.

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Die mittlerweile erwachsenen jungen Frauen belasteten den 56-Jährigen dabei teilweise massiv. Seisenbacher und sein Rechtsvertreter haben sich bisher nicht öffentlich zu den Vorwürfen geäußert. Die lange Ermittlungsdauer dürfte sich damit erklären, dass in diesem Fall aufgrund der Prominenz des Verdächtigen die Glaubwürdigkeit der Zeuginnen von der Staatsanwaltschaft besonders eingehend überprüft wurde.

Seisenbacher als "Vaterfigur"

Die mutmaßlichen Opfer des Judo-Olympiasiegers Peter Seisenbacher dürften in diesem eine "Vaterfigur" gesehen haben, wie aus der Anklage hervorgeht. Dieser zufolge war ein Mädchen erst neun, als dieser Interesse an ihr entwickelte. Der Ex-Judoka war mit dem Vater der Schülerin befreundet, über diese Schiene hatte die Kleine in dem Verein zu trainieren begonnen, in dem Seisenbacher tätig war.

Der Anklage zufolge soll Seisenbacher - damals 37 Jahre alt - mit der Neunjährigen ab 1997 Zärtlichkeiten ausgetauscht und sie - auch im Intimbereich - gestreichelt haben. Von 1999 an - das Mädchen war elf - kam es der Staatsanwaltschaft zufolge zu geschlechtlichen Handlungen, die als schwerer sexueller Missbrauch einer Unmündigen qualifiziert sind. Die unmündige Schülerin soll bis zur Vollendung des 14. Lebensjahrs wiederholt missbraucht worden sein.

Im Sommer 2004 soll sich der Ex-Judoka einem weiteren, damals 13 Jahre alten Mädchen zugewandt haben, das er ebenfalls als Trainer in der Kindergruppe in seinem Judo-Verein kennengelernt hatte. Auch mit diesem Mädchen kam es der Anklage zufolge zu sexuellen Handlungen.

Vierter Fall bleibt ungeklagt

Auf einem Judo-Sommerlager auf der Insel Krk soll Seisenbacher im August 2001 versucht haben, einem dritten Mädchen näher zu kommen. Die 16-Jährige wehrte ihn ihrer Darstellung zufolge aber ab. Für die Staatsanwaltschaft stellt sich dieser Vorgang als versuchter Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses dar.

Nicht von der Anklage umfasst ist eine angeblich intime Beziehung, die Seisenbacher vom Sommer 2001 bis Ende 2002 zu einer weiteren 16-Jährigen geführt haben soll. Grund: Die Staatsanwaltschaft bezieht sich in ihrer Anklage auf das "ausdrückliche Einverständnis" der damals zwar nicht Volljährigen, aber nicht mehr Unmündigen.

Keine Fluchtgefahr

Obwohl sich der 56-jährige Ex-Judoka berufsbedingt im - nicht unbedingt nahen - Ausland befindet, ist U-Haft für die Staatsanwaltschaft derzeit kein Thema. "Es gibt keinen Anhaltspunkt für Fluchtgefahr", meinte dazu Behördensprecherin Bussek. Nur weil ein Tatverdächtiger beruflich viel im Ausland unterwegs sei, könne nicht angenommen werden, dass er sich nicht dem Verfahren stellen wird. Bisher habe Seisenbacher Ladungen übernommen und keinen Anlass zur Vermutung gegeben, er könnte sich einer allfälligen Verhandlung entziehen wollen.

Ausnahmesportler

Als Sportler und teilweise auch Sportfunktionär war Peter Seisenbacher sehr erfolgreich. In seiner aktiven Karriere als Judoka hatte er in seinem Sport Geschichte geschrieben: Als erstem Judoka überhaupt war es ihm gelungen, bei zwei aufeinanderfolgenden Olympischen Spielen Gold zu holen. Mit zwei Titeln im Zeichen der Fünf Ringe, einem WM-Erfolg und acht EM-Medaillen (1 Gold/3 Silber/4 Bronze) ist Seisenbacher bis heute einer der erfolgreichsten Sommersportler Österreichs.

Der am 25. März 1960 in Wien geborene ist Vater einer Tochter und eines Sohnes. Der gelernte Goldschmied holte am 9. August 1984 in Los Angeles im Alter von 24 Jahren sein erstes Olympia-Gold. Vier Jahre später gelang ihm in Seoul die Wiederholung dieses Triumphs.

Entschuldigung bei Minister

Nur vier Wochen nach seinem Rücktritt vom Sport wechselte Seisenbacher ab 1989 ins Amt des Sporthilfe-Generalsekretärs und damit auf die andere Seite. Davor war er nach 1984 und 1985 zum dritten Mal als Österreichs Sportler des Jahres ausgezeichnet worden.

Im Juni 1991 musste sich Seisenbacher - um sein Amt zu behalten - bei Sportminister Harald Ettl entschuldigen. In seiner Funktion als Verbandskapitän des Österreichischen Judoverbandes (ÖJV) hatte er beim Turnier in Leonding einem Grazer Judoka nach einer Meinungsverschiedenheit eine Ohrfeige verpasst. Ein Linzer Gericht hatte Seisenbacher wegen leichter Körperverletzung zu einer Geldstrafe verurteilt. Vom ÖJV fasste er ob der Unbeherrschtheit eine einjährige Sperre aus, später legte er nach Differenzen seine Funktion zurück. Im Oktober 1993 trat er als Sporthilfe-Generalsekretär ab.

In der Folge ließ der Judosport den Wiener aber trotzdem nie los, so war er von 2010 bis 2012 als Nationaltrainer für Georgien verantwortlich. Unter seiner Führung errang Georgien u.a. bei den Spielen 2012 in London eine Goldmedaille. Von 2012 bis 2013 fungierte er dann als Coach in Aserbaidschan. Die Ermittlungen gegen ihn wurden bereits im Herbst 2013 aufgenommen, drei Jahre später sieht sich Seisenbacher seinem wohl schwierigsten Kampf gegenüber - der Anklage wegen Missbrauchs von Unmündigen und Missbrauch eines Autoritätsverhältnisses.