Wenn Politiker mit Jugendlichen diskutieren, sind sie in Gefahr. Sie neigen dazu, betont jung zu denken und jung zu sprechen, jovialer, sorgloser. Es handelt sich dabei um eine Art Small-Talk-Mimikry: Man sehnt sich danach, dazuzugehören. Ein fehlgeleiteter Ehrgeiz, der vermutlich auch dem Bundespräsidenten bei seinem missratenen Ausflug in die Reclam-Ethik zum Verhängnis wurde.

Alexander Van der Bellen sagte, dass jede Frau sich so kleiden möge, wie sie es wünsche, und wenn das beim Kopftuch in einem Klima krankhafter Ängste („Islamophobie“) nicht möglich sei, werde der Tag kommen, an dem man alle Frauen auffordern müsse, aus Solidarität mit den Verfemten sich ebenfalls mit Kopftuch zu zeigen. Die liberalen Dänen hätten das während der deutschen Besatzung vorgelebt, indem sie sich aus Mitgefühl mit den verfolgten Juden einen Stern angeheftet hätten.
Nichts gegen Lessings Ringparabel, aber daraus so viel Abwegiges abzuleiten, hat wehgetan. Kopftuchtragende Frauen mögen da oder dort scheelen Blicken ausgesetzt sein, das ist verwerflich; sie aber in einen Zusammenhang mit enteigneten, deportierten und millionenfach Ermordeten zu stellen, grenzte an Selbstvergessenheit. Im Übrigen handelt es sich bei der angeblichen Solidarisierungsgeste der Dänen um eine Legende. Sie fand so nie statt.

Es mag hochgradig heuchlerisch sein, wenn ausgerechnet die FPÖ, die sich mit revanchistischem Furor an Van der Bellen abarbeitet, diesem Verharmlosung brauner Barbarei vorhält: In der Sache hat sie recht.
Es stimmt auch nicht, dass das Oberhaupt Opfer seiner Ironie wurde und nur vergessen habe, dass das Land ironieunfähig ist. Van der Bellen wurde Opfer seiner ungebrochen illusionären Haltung in der Migrationsfrage. Er operiert mit einem Toleranzverständnis, das naiv ist, weil es nicht hinschaut, vom Trugbild einer multikulturellen Idylle ausgeht und sich unbewusst zum Komplizen der Intoleranz macht.
Das Kopftuch ist eben nicht Mode und nur schönes Sinnbild für Buntheit, Vielfalt und Individualität. Das Kopftuch ist religiös und politisch codiert. Es beruht auf der Vorstellung, dass das Unverhüllte das Unreine sei, freigegeben den Blicken, der Begierde und des Zugriffs. Das Kopftuch ist Teil eines Zeichensystems, anerzogen in patriarchalisch-familiären Strukturen und verordnet von Vertretern eines politischen Islam, zuletzt länderübergreifend von Erdoan. Es gibt Länder, in denen Frauen ihre Freiheit verlieren, die sich die Freiheit herausnehmen, kein Tuch zu tragen.

Wer es hier tun will, soll es öffentlich dürfen und keine Anfeindung erleben müssen. Eine geschlossene Opfergruppe ist es nicht. Eher sind das jene Mädchen und Frauen, die sich der Verhüllung, den Zwängen und der Unterordnung entziehen und hier selbstbestimmt heranwachsen wollen. Sie sind es, die die Ermutigung durch den Bundespräsidenten bräuchten, der die Freiheit pries und den Unfreien unter die Arme griff.