Seit Jahren ist das Mittelmeer zwischen Nordafrika und Italien ein Massengrab, das sich nicht schließt. Allein im Vorjahr ertranken 5000 Gestrandete auf der Überfahrt nach Europa. Wem sind die Toten moralisch zuzuordnen? Europa? Den Grenzschützern von „Frontex“ mit dem schwammigen Mandat? Den Schleppern? Den Opfern und ihrer Risikobereitschaft? Den Despoten und Unheilstiftern der afrikanischen Herkunftsländer? Im Affekt hieß es lange: „Europas Schande“. Die Selbstbezichtigung löste nichts und war haltlos. 180.000 Migranten erreichten allein im Vorjahr über das Meer den Kontinent, heuer werden es noch mehr sein.

Doch auch die Hilfe muss sich Fragen stellen lassen: Befeuert sie das Geschäft der Schleuser, indem man die Hilfe so nah an Afrikas Küstenstreifen ansetzt, dass sie als Shuttle-Dienst missgedeutet wird und noch mehr seeuntüchtige, menschenüberfüllte Kutter anzieht? Macht sich das Gute zum Komplizen des Ruchlosen, der Menschenhändler, weil man so den Strom der Aufbrechenden stimuliert?

Vor allem: Wird Hilfe auf diese Weise „politisch“, politisch ohne Mandat? Diese Fragen müssen gestellt werden, ohne die Helfenden verächtlich zu machen oder ihnen gar die Toten moralisch umzuhängen.
Das ist unanständig. Es gibt ethisch und rechtlich keine Alternative zur Pflicht, Menschen in Seenot vor dem Ertrinken zu bewahren. Diese Feststellung hätte sich der Außenminister nicht ersparen dürfen, als er vom „NGO-Wahnsinn“ sprach.
Seine Stärke, das Selbstkontrollierte, verließ ihn hier. Er opferte sie der Gefallsucht.

In der Sache hat Sebastian Kurz recht: Die Rolle der Hilfsorganisationen im Mittelmeer ist zu hinterfragen. Ihr Handeln hat sich entkoppelt und steht nicht im Einklang mit den europäischen Sicherheitsbehörden und der Grenzschutz-Agentur. Das beklagte unlängst auch der Frontex-Direktor. Damit behindere man die Recherche bei den Betroffenen und das Zerschlagen krimineller Netzwerke. Kurz schlug in dieselbe Kerbe.
Seine Kritik suggeriert, die NGOs seien der Kern des Problems im Mittelmeer und Ursache allen Unheils. Kern des Problems ist das Versagen der europäischen Politik, und Sebastian Kurz als Außenminister ist seit Jahren Teil von ihr. „Die EU“, das ist auch er. Wenn Kurz auf dem Marineschiff vor Malta „die EU“ und Frontex für Versäumnisse angreift, dann ist das auch eine Form der Selbstanklage.

Ein Außenminister, noch dazu ein so gefeierter, kann nicht tun, als stünde er außerhalb der Verantwortung. Die Mission Frontex wurde von Österreich mitbeschlossen. Ihre Schiffe dürfen die Geretteten gar nicht zurück an Afrikas Küste bringen, um in Aufnahmezentren die Asylberechtigung zu klären. Das wäre dringlich und vernünftig, um den Zuzug zu kontrollieren. Aber so etwas muss man Ländern wie Tunesien oder Ägypten politisch mühsam abringen und zuvor im Rat der Außenminister mehrheitsfähig machen. Draußen recht zu haben, reicht nicht.