In Österreich entscheiden die Gutachter die Gerichtsverfahren. Diese Klage hört man oft, und sie hat wohl auch einen wahren Kern. Tatsächlich sind Gerichte in den verschiedensten Bereichen auf die Expertise von Gutachtern angewiesen. Was weiß ein Richter oder gar ein Laienrichter über Fragen der Kfz-Sicherheit oder eben z. B. der Psychiatrie?

Gutachter sind sich dieser besonderen Rolle sehr bewusst und treten – die nötige Routine und das Ego vorausgesetzt – entsprechend auf. Sie verteidigen ihre Position mit Zähnen und Klauen. Dann heißt es: „Paranoide Schizophrenie und unzurechnungsfähig.“ Oder es heißt: „Persönlichkeitsstörung und zurechnungsfähig.“ Ohne Wenn und Aber.

Für das berühmte Grau zwischen Schwarz und Weiß bleibt kein Raum, schon gar nicht für einen Irrtum, denn das wäre geschäftsschädigend. Staatsanwaltschaften und Gerichte neigen nicht dazu, Gutachter zu bestellen, die „umfallen“ könnten. Die Folge: Eher breche dieses Haus zusammen, sagte ein Anwalt im Grazer Straflandesgericht, als dass ein Gutachter von seiner Meinung abrücke.
Da lohnt es sich, daran zu erinnern, was die eigentliche Rolle von Gutachtern ist. Sie sind Gehilfen des Gerichts, ihr Gutachten ist ein Beweismittel – oft das wichtigste, aber nur ein Beweismittel und nicht das Evangelium.

Im Verfahren gegen den Grazer Amokfahrer haben die Geschworenen von Anfang an daran gezweifelt, dass der „Betroffene“ tatsächlich unzurechnungsfähig war, sie hielten ihn für einen Simulanten. Und ihre Zweifel sind nur noch gewachsen. Sie haben kritisch gefragt, und sie waren von den Antworten, die sie aus dieser Richtung bekommen haben, nicht überzeugt. Am Ende haben sie etwas getan, was die Ankläger nicht durften: sich der Mehrheitsmeinung der psychiatrischen Gutachter widersetzen. Laienrichter dürfen das.

Gegner der Laiengerichtsbarkeit mögen das jetzt für ganz furchtbar halten. Denn Geschworene entscheiden so, wie sie es vor ihrem Gewissen und vor Gott verantworten können, wie es in ihrem Eid heißt. Oder aus dem Bauch heraus, wenn man es prosaischer sagt. Sie glauben etwas oder eben nicht. Und sie müssen nicht begründen, wie sie zu ihrer Entscheidung gekommen sind.

Zweifel sind aufgekommen, ob man gegen den Grazer Amokfahrer überhaupt in Graz verhandeln kann. Zu viele Emotionen seien im Spiel. Dieser Vorwurf geht bei diesen Geschworenen ins Leere. Sie haben es sich nicht leicht gemacht, und sie haben sich von den Gutachtern emanzipiert. Und das ist gut so.

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