Christian Lindner hat mit dem Auszug aus den Sondierungsgesprächen über eine Jamaika-Koalition den Deutschen etwas geschenkt, was vielleicht über die Chaostage in Berlin hinausreicht. Es ist das Verb lindnern. Damit könne – so wird in sozialen Medien herumgeblödelt – nun beschrieben werden, dass jemand nicht an einer gemeinschaftlichen Betätigung teilnehmen will. In etwa: „Warum nimmt der Hasewend heute nicht an der Konferenz teil?“ – „Er lindnert.“

Der 38-jährige Parteivorsitzende der Liberalen muss nach dem Auftritt Sonntagnacht eine Welle des Spotts über sich ergehen lassen. Natürlich steht vor allem sein extrem personifizierter Wahlkampf für die Freien Demokraten im Schussfeld der Häme. Was ursprünglich als Zentrierung auf den Hoffnungsträger für die geschundene Partei gedacht war, um sie aus dem historischen Tief zu holen und nach vier Jahren außerparlamentarischer Opposition wieder in den Bundestag zu führen, hat sich gedreht zum Musterbeispiel für Narzissmus in der Politik. Ein Beispiel ist die Satire auf die Wahlplakatserie mit Lindners Schwarz-Weiß-Konterfei mit dem Satz: „Alle 11 Sekunden verliebt sich ein Parteichef in sich selbst.“ Vom „Buhmann der Nation“ ist in den Medien die Rede und vom überzogenen und selbsteitlen Diventum. Nach Umfragen sehen 55 Prozent der befragten Deutschen Lindner als Hauptschuldigen für das Scheitern der ersten Koalition aus Grünen, Liberalen, CDU und CSU auf Bundesebene in Deutschland.

Die Häme nimmt schon unerträgliche Züge an. Denn so einfach kann man es sich mit Lindner nicht machen. Zugegeben: Sein Auszug ist ungeschickt gelaufen. Nach den Aussagen der Verhandler waren alle bass erstaunt, als die FDP-Delegation mit ihren Rollkoffern ohne große Vorwarnung einfach abzog. Getwittert wurde der Abbruch schon, bevor er auf dem Tisch der Kanzlerin bekannt war. Wenigstens hätte man sich gemeinsam vor die Medien stellen können. Aber das ist nur eine Frage des mangelnden Anstands. Der wichtigere Punkt ist die Glaubwürdigkeit. Hier kann man Lindner aus den Erfahrungen heraus einen Hang zum Egotum unterstellen. Dieses Image haftet ihm schon lange an.

Aber er hat es auch geschafft, die FDP wieder mit neuen Ideen zum Leben zu erwecken. Das galt als unmöglich. Dabei hat er vor allem auf einen Punkt gesetzt: Die FDP darf nie wieder nur Steigbügelhalter für eine Regierung sein. Diese jahrelange Praxis hat sie am Ende überflüssig gemacht und zu Recht 2013 aus dem Bundestag gespült. Man muss Lindner nicht mögen. Aber zum Grundprinzip einer liberalen Partei gehört auch die Freiheit, Nein zu sagen, wenn man sich in Verhandlungen zu sehr gegen eigene Überzeugungen und Prinzipien verbiegen muss. Wenn Lindner nun dafür einsteht, ist das ebenso staatspolitische Verantwortung wie eine Regierungsbeteiligung. Haltung bewahren gegen den Sturm der Mehrheit kann auch als Stärke respektiert werden.