Sie ist die stille Uhr-Großmutter der Stadt. Eine beobachtende Persönlichkeit. "Könnte sie sprechen, hätte sie wohl so einige nette Anekdoten auf Lager", sagt Klaus Weikhard in seinem Geschäft, während sich draußen vor der Tür Leute zur Begrüßung umarmen oder sich ein Bussi links, Bussi rechts auf die Wangen hauchen. Ja, sie hätte viel zu erzählen. Sie würde von jenen erzählen, die sich trafen, die aufeinander warteten, die sich verpassten . . . Und die sich verliebten. Uhrknall.

Weil es immer schon so war

Warum sich Julia und Eva, Sarah und Nina oder Christina und Jasmin hier treffen? "Weil's immer schon so war. Die Uhr liegt im Zentrum, man kann nur hier warten und muss nicht lange suchen", so die einhellige Antwort. "Außerdem hat sich meine Familie schon immer hier getroffen."

Seit dem Jahr 1930 steht die Uhr vor dem Grazer Schmuckgeschäft wie ein schmaler Fels in der Brandung. "In fast unveränderter Form", wie Klaus Weikhard betont. Fast. Ab und zu wurde sie schon Opfer von Kleinlastern, die sie beim Ausparken schlicht übersehen haben. "Aber sie ist ganz schön stabil." Hat man denn nie über ein Facelift nachgedacht? "Sie zu verändern, wäre sinnlos. Das würde sich niemand trauen. Im Jahr 2003, als die Uhr im Berg der Erinnerungen war, haben wir bitterböse Anrufe und Briefe bekommen."

Treue Begleiterin

Und dabei weiß Weikhard nicht einmal, wer damals die Idee zu der frei stehenden Uhr hatte. Sei's drum, den Grazern ist sie ans Herz gewachsen. Eine treue Begleiterin über Jahrzehnte hinweg. Rund um die Uhr stehen Wartende unter dem Ziffernblatt und rastern mit suchendem Blick die Passanten nach einem bekannten Gesicht.

Marija Kanizaj

Für den Soziologen Peter Gasser-Steiner ist dieses Verhalten der Inbegriff von "tradierter Alltagspraktik". "Es handelt sich hier um einen symbolisch besonders stark besetzten Platz. Hier lagern viele Schichten von Erinnerungen." Solche Orte seien, laut dem Experten, extrem wichtig für die Bewohnbarkeit und das Funktionieren von Städten. Als "Nicht-Ort" könne man im Gegensatz dazu den Andreas-Hofer-Platz bezeichnen. "Er liegt am Ufer, auch die Bauwerke in der Nähe sind besonders, aber dann setzt man da einen runden Autotempel in die Mitte. Da trifft man sich lieber an angenehmeren Orten."

Und aus diesem Grund können Handy und SMS dem Treffpunkt Weikhard-Uhr auch nicht den Rang ablaufen. "Es handelt sich hier um essenziell urbanes Lebensgefühl. Lieb gewonnene Rituale gibt man nicht auf. Man trifft sich dort, wo man sich immer getroffen hat. Nur, wenn sich heutzutage jemand verspätet, ruft man ihn einfach an und fragt, wo er bleibt."

Nachrichtenfluss

Aber auch in Zeiten vor der Mobiltelefonie waren die Leute erfinderisch und wussten ihre Botschaften zu übermitteln. Klaus Weikhard: "Da haben viele im Geschäft angerufen und die Verkäuferinnen gebeten, dem Mann oder der Frau unter der Uhr auszurichten, dass sie sich verspäten oder etwas dazwischengekommen ist." Heute ist das Handy am Zug, das man manchmal aber auch gar nicht braucht. Wie ein älterer Herr vor dem Geschäft beweist. "Ich warte auf meinen Bruder, wir treffen uns einmal in der Woche. Es ist ein Ritual. Ich komme immer eine halbe Stunde früher, um die Menschen zu beobachten. Ich könnte ihn auch anrufen, aber ich zelebriere das Warten."