Beginnen wir mit dem Zahlenspiel: 72 Jahre, Maße 84-60-89 bei einer Größe von 1,74 m. Zuerst Ballerina in Hamburg, dann Showgirl in Las Vegas, wo sie Aftershow-Partys mit Stars wie Elvis Presley feierte, Start der Modelkarriere mit 65 Jahren. Heute lebt sie mit ihrer 96-jährigen Mutter, die noch immer jeden Tag gemeinsam mit ihrer Tochter trainiert, in Hamburg und sagt: „Mami ist meine beste Freundin.“ Eveline Hall ist wohl in vielerlei Hinsicht eine Ausnahme. Ein Gespräch mit einer Frau, die geschickt jede Nische umtänzelt und auch dem Kapitel Alter ein Schnippchen schlägt.

Frau Hall, Sie sitzen in der Jury von Austria's Next Topmodel, weil Sie ein gut gebuchtes Model sind - und das mit 72 Jahren. Viele vor dem Fernseher fragen sich: Wie macht die das?

EVELINE HALL: Damit fangen alle an, die mich interviewen. Ich habe da eine Tür geöffnet, wo ich noch immer nicht ganz verstehe, was ich da Großes gemacht habe. Wir müssen uns nichts vormachen, natürlich ist es mein Alter. Es vermutet keiner, dass man in diesem Alter überhaupt noch viel macht, außer Blümchen zu pflanzen und zu begießen. Das ist der Punkt, der am meisten ankommt, dass ich so tue, als ob ich noch 20 Jahre arbeiten würde.

Ihren ersten Auftritt als Model hatten Sie mit 65 Jahren bei der Berlin Fashion Week für den deutschen Designer Michael Michalsky. Neben Ihnen auf dem Laufsteg: Frauen, die Ihre Enkelinnen sein könnten. Wie hat sich das angefühlt?

Mir ging es nicht gut. Meine Agentur und auch Michalsky verlangten von mir, dass ich so gehe, wie sie heute alle gehen. Mit eiskaltem Blick, der ja manchmal beleidigt aussieht. Nach vorne und wieder zurück in dieser Schrittkombination, die ich nicht schön finde, die sich aber so eingebürgert hat. Ich habe mich gefragt, warum ich mir das noch antue. Dann habe ich mir gesagt: Was sagt die Tänzerin in dir? Und dann bin ich losgelaufen - wie eine Tänzerin. Das war der Erfolg.

© ATV/Bernhard Eder

Wie sind Ihnen damals die anderen Models begegnet? Haben sie Sie als Konkurrentin betrachtet?

Eines habe ich auf jeden Fall nicht mehr: Konkurrenz. Die Jungen waren alle lieb zu mir und haben gesagt, dass sie gerne einmal so sein würden wie ich. Ich würde ihnen das Vertrauen geben, dass man nicht mit 35 oder 40 Jahren aufhören muss, zu modeln. Ich habe da schon eine Menge bewirken können, weil sie das anerkannt haben.

Sie waren Ballett-Solistin an der Hamburgischen Staatsoper, Showgirl im Lido, bei den „Bluebell Girls“ in Las Vegas und Schauspielerin. Verraten Sie uns, wen Sie kennengelernt haben?

Sie wollen über Elvis reden. Alle wollen über Elvis reden, aber ich kann es verstehen, ich bin Zeitzeugin. Es ist uns damals gegeben worden, weil ich zu diesem Zeitpunkt dort war, wo alle dort waren. Ich hatte die schönste Zeit in Las Vegas. Wir waren ja alle Stars, es gab ja keinen Nicht-Star. Und dadurch, dass wir uns alle gegenseitig die Shows angesehen haben, haben wir uns natürlich anschließend immer gesehen. Da habe ich ihn durch eine Kollegin kennengelernt. Er war ein ganz normaler Mann, wir konnten uns sofort unterhalten, weil ich Sehnsucht nach meiner Mama hatte. Und er sagte: Meine Mutter ist die wichtigste Frau in meinem Leben. Er liebte sie über alles. Da hat sich schnell ein Gespräch ergeben. Er ist ein ganz liebenswerter und überhaupt nicht arroganter Mensch gewesen.

Bleiben wir bei den guten alten Zeiten: Frauen stehen heutzutage unter dem Druck, immer gut aussehen zu müssen. War das früher anders?

Das war immer so. Wir haben immer schon auf unsere schmalen Taillen geachtet, zusätzlich wurden wir noch in ein Korsett gepresst. Der Busen sollte rauskommen, die Wangen wurden gepudert. Es war immer das, was die Dekade oder die Entwicklung der Medizin zu bieten hatte. Heute wird ja Schindluder betrieben.

Aber haben Frauen in Sachen Aussehen nicht auch früher schon mehr oder weniger getrickst?

Da waren eben auch noch echte Persönlichkeiten dahinter vorhanden. Heute sieht man durch dieses Ruinieren fast keine Konturen mehr. Diese Techniken müssen ja bei jedem angewandt werden. Gesichter beginnen, einander zu ähneln. Deswegen gibt es auch heute kaum noch mehr Stars. Bei diesem Resultat sieht man, dass da etwas falsch läuft.

Jede, die Fotos von Ihnen sieht, will es wissen: Wie sieht Ihr Schönheitsgeheimnis aus?

Ich habe immer trainiert. Egal, wo ich bin, ich ziehe mein Training immer durch. Ich esse gut und hungere nicht. Wenn ich bei euch bin, ist es am allerschlimmsten. Wien ist eine Stadt - da würde mein Portemonnaie sehr schnell weinen. Ich färbe auch meine Haare nicht mehr. Ich habe nie geraucht, ich trinke keinen Kaffee. Ein amerikanischer Dermatologe sagte zu mir: „Frau Hall, Koffein ist nichts für die Schönheit.“ Ob er recht behalten hat, weiß ich nicht.

Da gibt es wohl das eine oder andere Beweisfoto. Aber da muss es aber doch mehr geben ...

Ich habe eine Zeit lang mein Gesicht mit Kaffeesatz geschmirgelt. Das macht man so zwei bis drei Mal in der Woche und gibt dann Honig mit Ei drauf. Seien wir uns ehrlich: Wir können dem lieben Gott nicht ins Handwerk pfuschen. Mein Kind, Sie werden das Alter immer sehen. Und wenn es nur im Gang eines Menschen ist. Man sieht, ob ein junger oder älterer Mensch vor dir geht. Da kann man reinspritzen bis übermorgen.

© ATV/Bernhard Eder

In diesem Fall kommt Ihnen wohl Ihre tänzerische Ausbildung zugute.

Wir waren Menschen, die nur von der Natur ausgehen konnten, wir standen um 10 Uhr an der Ballettstange und schwitzten. Dass ich so groß geworden bin, habe ich dem lieben Gott zu verdanken und meinen guten Genen. Mami ist 96 und noch immer fit. Sie trainiert mit mir, aber wir sind uns beide einig: Irgendwann muss jeder sagen: Auf Wiedersehen! Und am besten ist, wir machen uns die Sache schön.

Sie sind 72 Jahre alt und wohnen noch immer mit Ihrer Mutter zusammen. Wie sieht Ihr Verhältnis aus?

Es funktioniert, weil meine Mutter meine beste Freundin ist.

Wird das denn nicht auch manchmal zu eng?

Nein, ich erzähle ihr alles. Sie hat mich mein Leben lang begleitet. Sie kennt mich am besten. Manchmal kennt sie sich viel weniger, aber mich kennt sie ganz genau. Sie war immer da, wenn ich sie gebraucht habe.

Hat sie Verständnis für Ihr Leben und wie Sie es leben?

Ja, das hat sie. Sie hat nur einmal gesagt: „Wenn du keine Lust mehr hast, mein Kind, das musst du mir versprechen, dann machst du es nicht mehr.“ Das habe ich ihr versprochen und das mach ich auch. Irgendwann werde ich es ja einmal singen, das Lied von Hildegard Knef, „Es war beim Ball Paré“. Da ist dieses Mädchen, das von einem Ball und den Konfetti erzählt und was alles im Leben toll war. Und darüber, wenn das dann alles plötzlich weg ist und andere drehen sich im Tanz. Sie sagt am Schluss: „Wenn es aus ist, sollte man gehen. Hauptsache es war schön.“