Martin Rossmann redet nicht lang herum, wenn es um die Terminfindung geht: „Meine Zeit ist knapp bemessen.“ In dem Moment meint er das gar nicht witzig und eine fadenscheinige Ausrede ist es schon gar nicht, denn der Mann hat alle Hände voll zu tun.

Man kennt den Ausdruck: Einer der Letzten seiner Zunft. Gern wird damit kokettiert, im Fall von Rossmann ist es traurige Realität, denn er ist Herrenschneider und die sucht man heutzutage wie die viel zitierte Nadel im Heuhaufen. Das mag auf den ersten Blick einigermaßen absurd klingen angesichts der gigantischen Kleiderberge, die die Welt bedecken, während auf Instagram fast schon hysterisch ein schnell im Vorbeigehen erfundener Modehype den nächsten ablöst. Diese Art von Hektik kennt man in der Werkstatt von Martin Rossmann nicht. Hier klingelt noch die Tür, wenn der Kunde den Laden in der Grazbachgasse in Graz betritt. Das ergibt Sinn, denn hier wird hinten im Atelier genäht - und ja, auch der Chef greift zu Nadel, Faden, nimmt Maß und zeichnet den Schnitt. Und wie er so dasteht, fällt sie einem sofort auf, die tadellose Haltung. Die sich übrigens nahtlos bei den Kleiderpuppen fortsetzt, die da wie aufgefädelt Sakkos in allen Entwicklungsstadien zeigen.

Zwischen 50 und 60 Stunden dauert die Arbeit an einem Maßanzug
Zwischen 50 und 60 Stunden dauert die Arbeit an einem Maßanzug © Juergen Fuchs/Kleine Zeitung

Auf ihre Art sind sie Lebensabschnittspartner, die auf ihre Fertigstellung warten. Denn diese Anzüge sind keine modischen Eintagsfliegen, dafür wären sie auch zu teuer. Im Durchschnitt kostet ein maßgeschneiderter Anzug zwischen 2300 und 2500 Euro. Gutes Tuch für gut Betuchte, also? Nicht, wenn man die Lebensdauer beachtet: Bis zu 15 Jahre kann so ein Anzug schon halten: „Zwar hängt das von der Art des Gewebes ab, aber man kann ihn schon regelmäßig tragen“, so Rossmann, während er Stoffprobe für Stoffprobe aus dem Regal holt: hauchdünne Anzugstoffe, Tweed in allen Formen, Samt von Dunkelgrün bis Dunkelviolett. „Ein durchschnittlicher, hochwertiger Stoff von Ermenegildo Zegna aus reiner Wolle kostet rund 130 bis 170 Euro pro Meter. Drei Meter brauche ich für den Anzug, also bin ich bei rund 400 bis 500 Euro für den Stoff. Die Nähzeit beträgt zwischen 50 und 60 Stunden.“

Rund 6000 unterschiedliche Stoffe hat Martin Rossmann zur Auswahl
Rund 6000 unterschiedliche Stoffe hat Martin Rossmann zur Auswahl © Juergen Fuchs/Kleine Zeitung

Aber die Fertigung allein ist es nicht, auch nicht das Vorgespräch, die Entscheidung und die bis zu drei Anproben. Es ist das Gefühl, das der Kunde kauft: ein auf den eigenen Leib geschneidertes Kleidungsstück, das auf alle Eigenheiten des Trägers Rücksicht nimmt. „Wir lassen alles einfließen, was uns auffällt - vom Hohlkreuz bis hin zu den O-Beinen - wir reden da ganz offen darüber, manche Leute sind oft ganz schockiert“, lacht der 42-Jährige.


Die Herrenschneiderei ist ein sehr intimer Job: Man geht eine vertrauensvolle Beziehung ein. Und wer Vertrauen sagt, meint auch Nähe und die ist zwischen Kunde und Schneider physisch: „Ich messe ihn ab, ich weiß, wenn und wie er sich körperlich verändert hat - das ist eine spezielle Form der Nähe.“ Und das sind nicht wenige, bis zu 50 und 60 „Großteile“ wie Anzüge, Sakkos und Mäntel werden in der Werkstatt, die Rossmann 2002 von seinem Vater in dritter Generation als Herrenschneider übernommen hat, gefertigt. Bisweilen auch spezielle Wünsche - wie etwa eine „Vase“ hinter dem Revers für die Einsteckblume. Manche Kunden kommen mit eigenen Entwürfen, andere wollen ein spezielles Innenfutter mit dem Konterfei der Dietrich drauf. Längst hat sich ein Kundenstock gebildet, der den maßgeschneiderten Anzug als Sammlerstück betrachtet.

Sonderwünsche beim Herrenschneider: Marlene Dietrich am Innenfutter
Sonderwünsche beim Herrenschneider: Marlene Dietrich am Innenfutter © Juergen Fuchs/Kleine Zeitung

Mit dieser Einstellung geht aber auch die Würdigung eines bestimmten Modestils einher, der sich bei den beiden „Kingsman“-Filmen als Motto widerspiegelt: „Der Anzug ist die moderne Rüstung des Gentleman.“ Und es zeigt ein Problem auf, das sich nur mit Wissen um Mode und Stil lösen lässt, wie Rossmann das Dilemma erklärt: „Wenn ich jede Woche einen Anzug oder ein Sakko brauche, gebe ich mehr Geld dafür aus. Trage ich den Anzug zweimal pro Jahr und fühle mich darin nicht wohl, dann gebe ich auch kein Geld dafür aus. Aber wenn ich nichts dafür ausgebe, kriege ich keinen Anzug, der mir passt. Das ist eine Spirale, die in die falsche Richtung geht.“

Taron Egerton als Kingsman
Taron Egerton als Kingsman © Twentieth Century Fox


Doch wie hält es der Herr Herrenschneider eigentlich selbst so mit der Mode? Es entschlüpft ihm eine Antwort, die beim Gegenüber tiefe Genugtuung auslöst, weil man Sätze wie diese immer so gerne bei Frauen verankert: „Ich habe nichts anzuziehen.“ Dass er selbst lauthals loslacht, liegt aber vor allem daran, dass diese Formulierung ein unausgesprochener Mode-Insiderwitz ist: Es ist die beste Ausrede, um sich etwas Neues zuzulegen.