Der Kampf „Joshua versus Klitschko“ ist die Rückkehr des Schwergewichtsboxens in die flirrende Fernsehatmosphäre der Wohnzimmer dieser Welt. Anthony Joshua, der Stolz Britanniens, wie der TV-Moderator nicht müde wurde zu wiederholen, trat an diesem historischen 29. April als neuer Heroe des Boxens in die Welt.

18 Siege hatte Anthony Oluwafemi Olaseni Joshua auf seiner Habenseite – mit einer Knock-out-Quote von 100 Prozent. Weltmeister der „International Box Federation“ (IBF) war er an jenem Abend im Wembley-Stadion bereits, doch 90.000 Fans wollten sehen, wie er sich auch den Super-Weltmeistertitel der „World Boxing Association“ (WBA) und den weniger bedeutenden Titel der „International Boxing Organization“ (IBO) holte.

Entschlossener Klitschko

Aber der Kampf hätte nicht solche Hurra-Rufe der Freunde des Pugilismus erzeugt, wäre da nicht ein entschlossener Wladimir Klitschko gestanden. Fast zehn Jahre hatte der Ukrainer, mittlerweile 41 geworden, das Schwergewicht dominiert. Doch an einem 28. November 2015 trat ihm im „Kampf der Giganten“ ein die Auslage wechselnder Engländer namens Tyson Fury entgegen: Ein über zwei Meter großer Riese, der ein wenig untrainiert wirkte und den Modellathleten Klitschko mit Tanz- und Hände-nach-unten-Einlagen aus der Fassung brachte. Klitschko verlor vor 50.000 Zusehern in der Düsseldorfer Esprit-Arena und stand am Scheideweg seiner Karriere: Die Titel der WBA, IBO, IBF und „World Boxing Organization“ (WBO) verlor er. Fury ließ einen Rückkampf zweimal platzen, der englische Boxverband hat ihm mittlerweile die Lizenz entzogen und er wurde positiv auf Kokain getestet. Aber Fury war eine Hetz für den Boxsport.

Und jetzt ist da Joshua. 27 Jahre alt, 198 Zentimeter groß, ein Muskelpaket und mit einer typischen Boxerkarriere: Der Maurer aus Watford, der 2011 mit Cannabis in seiner Sporttasche aufgehalten wurde, sich nur durch Sozialarbeit vor dem Gefängnis retten konnte und aus dem britischen Boxteam flog, holte sich 2012 die olympische Goldmedaille. Aber Olympia ist im Boxen nicht mit einem Buchstabentitel zu vergleichen. Was zählt, hat drei Buchstaben: WBO, WBA, IBF und natürlich WBC, das „World Boxing Council“.

Klitschko hatte Joshua in der sechsten Runde am Boden, am Ende reichte es aber nicht für den Sieg
Klitschko hatte Joshua in der sechsten Runde am Boden, am Ende reichte es aber nicht für den Sieg © AP

"Thriller von Wembley"

Es war der „Thriller von Wembley“. Und selbst, wenn ein Boxkampf im Fernsehen für A. J. Liebling nur ein armseliger Ersatz für das Geschehen vor Ort sein mag, auf den Wohnzimmerplätzen hielt es an diesem Abend niemand: Klitschko ging in der fünften Runde zu Boden, doch „Dr. Steelhammer“ kam zurück und schickte Joshua in der sechsten Runde auf die Bretter. Der Brite taumelte. Das war Drama, das war elektrisierend, das war es, was das Schwergewichtsboxen ausmacht. In der elften Runde kam Joshuas Moment: Zwei Mal schlug er Klitschko nieder, bevor der Ringrichter den Kampf abbrach. Sieg durch technisches K. o. „In diesem Kampf geht es viel um Charakter. Du musst an dich glauben“, sprach Joshua nach seinem Triumph. A. J. hatte triumphiert – aber auch er wird noch einen besseren Alias-Namen finden. Wie „Dr. Steelhammer“, der fast zehn Jahre durchgehend Weltmeister war. Zuerst von 2000 bis 2003 WBO-Champ, von 2006 bis 2015 Weltmeister der IBF, von 2008 bis 2015 der WBO und von 2011 bis 2015 der WBA. Aber der Sportwissenschaftler aus der Ukraine, der sogar einen Management-Lehrgang in St. Gallen ins Leben rief, war einem großen Teil der zumeist amerikanischen Boxwelt wohl zu intellektuell.


Der große Jerry Izenberg, legendärer Boxreporter des „Newark Star-Ledger“, schreibt in seinem jüngsten Buch „Once There Were Giants“: „Es wird niemals wieder einen Schwergewichtszyklus geben wie jenen, der damit begann, als Sonny ListonFloyd Patterson stoppte, und zu Ende ging, als Mike Tyson ein Stück von Evander Holyfields Ohr abbiss.“ Man darf aber nicht vergessen: Klitschko ist Ukrainer und kämpfte von Deutschland aus. Große Boxer macht immer noch Amerika. Aber es mag schon richtig sein: Boxen hat auch viel mit Charisma zu tun. Adonis Joshua hat viel davon.
Das Schwergewicht ist damit wieder in Bewegung. Ein Rückkampf mit Klitschko steht im Raum: Nicola Pattberg vom Klitschko-Management sagt, dass noch keine Entscheidung getroffen sei. Vertraglich hat sich der Ukrainer aber einen Rückkampf zusichern lassen. „Der Kampf wurde in 150 Länder weltweit übertragen“, sagt Pattberg – und weltweit als großer Kampf wahrgenommen.

Unumstrittener Weltmeister

Was sich viele wünschen, ist ein unumstrittener Weltmeister: einer, der alle wichtigen Titel vereint – also WBO, WBA, WBC und IBF. Der letzte unumstrittene Weltmeister war 2003 Lennox Lewis. Aber Joshua muss die Rechnung mit einigen anderen Boxern machen. Der Amerikaner Deontay Wilder, der „Bronze Bomber“, in Anlehnung an den großen Joe „Brown Bomber“ Louis, ist seit 2015 Weltmeister der WBC. Ähnlich athletisch wie Joshua, 201 Zentimeter groß und der „Stolz Amerikas“.
Der weniger bekannte Joseph Parker, ein Neuseeländer, ist seit 2016 Weltmeister der WBO, ihn haben wohl die wenigsten auf der Rechnung, wenn es um die Zukunft des Schwergewichts geht. Aber es wird nicht alleine darum gehen, dass Joshua, Wilder, Parker oder vielleicht sogar Klitschko sich die Krone auskämpfen. Um in einer reizüberfluteten Welt in High Definition, die so gar nichts mit der Zeit von Muhammad Ali oder Sonny Liston zu tun hat, die Blicke der Welt auf sich zu ziehen, muss die Dramatik des Boxens auf einen Punkt verdichtet werden. Der „Thriller von Wembley“ hat die Anlagen für eine Wiederholung – wie „Gatti gegen Ward“, eine über drei Kämpfe gehende Ringschlacht des charismatischen Arturo Gatti gegen Micky Ward im Halbweltergewicht. Oder das teuerste Boxevent der Geschichte: Floyd Mayweather gegen Manny Pacquiao 2015 um die Weltergewichtskrone. Aber egal wer auch immer der schwerste aller Jungs wird – eine neue Zeit der Aufmerksamkeit hat begonnen. Hochauflösend und reich an Dramatik. Boxen kann so simpel sein.