Manche Sätze klingen so dick aufgetragen wie ein dunkelroter Lippenstift und ganz sicher kann man sich nicht sein: Ist es ein Wunsch oder doch eine Warnung? Bei Marlene Dietrich klang das so: „Ich will der Welt nur meine Legende hinterlassen.“ Es war ein Wunsch, der Wirklichkeit wurde. Um genau zu sein: ein Wunsch, den sie selbst zur Wirklichkeit machte. Vor 25 Jahren, am 6. Mai 1992, starb die Schauspielerin in ihrer Wohnung in Paris – da war sie schon längst zu dieser lebenden Legende geworden, dank einer radikalen Entscheidung: 16 Jahre vor ihrem Tod entzieht sie sich zur Gänze der Öffentlichkeit. Nur 1984 ist sie in Maximilian Schells Dokumentation „Marlene“ noch einmal aus dem Off zu hören.

Es ist diese Radikalität, die nicht nur das Leben, sondern auch die Karriere der gebürtigen Berlinerin Marie Magdalene Dietrich auszeichnet: preußische Disziplin gepaart mit einer ganz besonderen Note – der hohen Kunst der Ausschweifung. Diese Prägung erfolgt im Berlin der 1920er-Jahre. Die angehende Schauspielerin lässt sich zwischen kleinen Theaterrollen und ersten Filmauftritten durch die Stadt treiben. Ein Krieg ist vorbei, den nächsten könnte man am Horizont erahnen. Aber noch ist es nicht so weit: Die Stadt vibriert und feiert unter dem Banner „Tanz auf dem Vulkan“.

Hier lernt die Dietrich das alte Spiel von Anziehung und Abstoßung. Ihre erste Feuertaufe ermöglicht ihr 1930 der US-Regisseur Josef von Sternberg, gebürtiger Wiener, dessen jüdische Familie 1908 in die USA ausgewandert ist. Marlene Dietrich fällt ihm auf, sie ist ignorant, aber interessant. Wie gemacht für die Rolle der Prostituierten Lola, die im Film „Der blaue Engel“ einen spießigen Lehrer in einer ebenso spießigen Kleinstadt in den Liebeswahn treibt. Es wird einer der erfolgreichsten Filme der deutschen Geschichte. Das Publikum jubiliert: „Die Marlene, die hat Beene!“

Nur einen Tag nach der Premiere fährt sie mit der MS Bremen in die USA, sie soll der neue Star von Paramount Pictures werden. Dort inhaliert sie den Hollywoodglamour und verwandelt ihn in ihr ganz spezielles Markenzeichen. Sie changiert gekonnt zwischen der klassischen Hollywood-Silhouette – geprägt von den Kostümbildnern und Designern Travis Banton und Jean Louis – und einer femininen Interpretation des Dandys.

Einerseits die große Robe: körperbetont, aber fließend, umhüllt von Seide, geschmückt mit Perlen. Umschlungen von Pelz und Federn. Andererseits der Frack, der Zylinder, der Herrenlackschuh, die Zigarette. Aber es ist keine Verkleidung, sondern ihre Persönlichkeit: „Sie war das frechste Mädchen, das ich je kennengelernt habe. Die Art, wie sie sich anzog, war sehr provokant – wie alles, was sie tat“, wie sich Paramount-Produzent A. C. Lyles in der Dokumentation „Her Own Song“ erinnert. Im gleichen Outfit küsst sie 1930 im Film „Morocco“ eine Frau.

Angepasst schaut anders aus: Marlene Dietrich schwimmt gegen den Strom, trägt wie Coco Chanel und andere Vorreiterinnen ihrer Zeit eine Hose. Ein Modell ist sogar nach ihr benannt und fixer Bestandteil des klassischen Modekanons: Hohe Taille, Bundfalten, Bügelfalten, der Saum reicht bis zum Boden. Perfekt dazu, wie die Dietrich sie trug: Oxford-Schnürer.

Sie lässt sich vier Backenzähne entfernen, um ihr Gesicht schmäler erscheinen zu lassen, sie feilt an ihrem Äußeren bis zur Perfektion. DIE Dietrich, eine Adelung unter weiblichen Stars, war Diva und Dandy. Nicht zuletzt kultiviert sie eine Unnahbarkeit, die Männer und Frauen magisch anzog – vom Schriftsteller Ernest Hemingway bis zum US-Präsidenten John F. Kennedy und von der Dramatikerin Mercedes de Acosta bis zur Motorboot-Rennfahrerin Betty Carstairs.

Marlene Dietrich bei einem Auftritt im Oktober 1955 im Sahara Hotel in Las Vegas
Marlene Dietrich bei einem Auftritt im Oktober 1955 im Sahara Hotel in Las Vegas © AP

Sie wird geliebt, begehrt, gehasst. Letzteres vor allem in Deutschland, dort gilt sie lange Zeit als Verräterin. Sie, die in ihrer Außensicht auf Deutschland sehr schnell die dunklen Wolken aufziehen sieht. Die jeglichem Werben der Nazis widersteht und 1939 US-Staatsbürgerin wird, danach die US-Truppen von Europa bis Afrika unterstützt. Als sie 1960 im Rahmen einer Gastspielreise nach Deutschland kommt, schlägt ihr der Hass entgegen. In Düsseldorf spuckt ihr ein Mädchen ins Gesicht.

Es ist eine lebenslange Hassliebe, die fast noch ein romantisches Ende findet: Als ihr Sarg auf dem Weg zum Friedhof den Blumenmarkt passiert, verabschieden sich die Berliner gebührend. Als der Sarg sein Ziel erreicht, ist er über und über mit Blumen bedeckt. Das hätte ihr vermutlich sehr gefallen.