In einem Mai selbst ins Leben geschlüpft, gerade noch, am allerletzten Tag des Monats. Den Sternen gemäß also ein Zwilling, vielleicht ein Zeichen auch dies: Das eine Gesicht hält sich noch an der Milde des Geburtsmonats fest, das andere wendet sich schon der fetten Wärme des Nachfolgers zu. Wetterwendig gleichsam, lebenswendig auch? Ich weiß nicht. Der Mai also. Wenn das Jahr sprechen könnte und uns eine Geschichte erzählen, würde das Jahr vielleicht Folgendes sagen: „Zwölf Kinder habe ich, allesamt sind sie ganz verschieden, alle haben ihre Eigenarten und -heiten. Und ich liebe sie ebenmäßig und -bürtig, diese zwölf Keimlinge; diese Rasselbande aus wilden Kerlen, lauwarmen Mitläufern und frostigen Gesellen. Aber, ihr anderen elf, verzeiht, ein Kind haben ich und die Welt auserwählt, sodass es fortan besonders geliebt werde.“

Es heißt natürlich Mai, dieses umhätschelte Lieblingskind. Viel besungen, viel bewortet, viel gepriesen, viel gerühmt. Ein verwöhnter Balg sondergleichen. Dichter haben sich daran geschmiegt, Sänger darum gewunden. Der fünfte Monat im gregorianischen Kalender. Benannt ist der Mai vermutlich nach der römischen Göttin Maia, die am ersten Tag dieses Monats ein Opfer darbrachte. Die Wortwurzel liegt in der Silbe „mag“. Sie bedeutet Wachstum und Vermehrung. Das mag stimmen oder nicht, aber es macht allemal Sinn. Der Mai, das Synonym guthin für das Gedeihen und das Wachsen; für das Werden nach dem Ruhen; für das Kommen nach dem Gehen. Der Frühling trat zwar schon vorher ins Land, aber landläufig wird noch immer der Mai mit dem Aufbrechen des Bodens und dem Aufbruch ins Neue verbunden.


Wenn etwas besonders hell leuchten soll, belässt man das Umfeld strategisch im Dunklen. Der Vorläufer des Liebkindes, der wütende Bastard im Jahreskreislauf davor, ist viel gescholten und mindergeliebt. Sein Name: April. Ein Tunichtgut mit bipolaren Wetterstörungen. Am einen Tag zu Himmel hoch jauchzend, am anderen zu Tode betrübt. Man kann sich darauf verlassen, dass auf ihn kein Verlass ist. So etwas, eine ausgewachsene Unzuverlässlichkeit, nehmen die Menschen persönlich. Sie kennen es aus den eigenen Niederungen und mögen es nicht in den Höhen der Meteorologie wiederholt haben.

Der Maikäfer
Der Maikäfer © APA


Im Mai selbst ins Leben geschlüpft also. Und das erste Lied auf dem knisternden Soundtrack des Kindheitsvinyls ist ebenfalls mit diesem Monat verbunden. Dieses Geräusch ist nicht schön, es ist widerlich, und ich höre es heute noch: Es knackt, es kracht, etwas bricht. Es sind die Körper von Hunderten Maikäfern, die den Hühnern zum Fraß vorgeworfen werden. Die Erwachsenen haben die Käfer mit ihren großen Händen gleichsam aus der Luft gefischt, in großen Eimern eingesammelt und dann dem Federvieh serviert, das sich hysterisch auf die krabbelnde Kost gestürzt hat. „Hört auf, hört auf!“, habe ich damals gebrüllt und sowohl die Menschen als auch die Hühner gemeint. Doch sie haben nur blöd gelacht, die erwachsenen Menschen, und meine tollpatschigen Versuche, einzelne Käfer vor den gierigen Hühnerschnäbeln zu retten, betrunken beklatscht. Das war ungefähr 1969. Sechs Jahre später, aber das wusste ich damals natürlich nicht, hat der Liedermacher Reinhard Mey ein Lied geschrieben. Es hieß: „Es gibt keine Maikäfer mehr.“ Hätte ich es gewusst, hätte ich den blöden Erwachsenen trotzig hinrotzen können: „Seht! Hört! Und ihr seid schuld daran.“


Dass der Mey-Mensch über die Mai-Tiere singt, ist natürlich ein charmanter Zufall. Später hat der Bub aus einem Apparat Schwarz-Weiß-Bilder flimmern gesehen und ein Wort fluten gehört. Es lautete: „Miami“. Die Frage des Kindes, was denn diese erstaunliche Wasserstadt im fernen Amerika mit unserem Monat Mai zu tun habe, konnten die Eltern nicht beantworten. Sie hatten sich vor lauter Lachen am TV-Wurstbrot verkutzt.

Der Wonnemonat Mai

Im Anfang war also das Wort. Und das Wort, es kann nicht nur von den Kleinen falsch gehört, sondern auch von den Großen falsch weitergegeben werden: Karl der Große führte im 8. Jahrhundert den Namen „Wonnemond“ ein. Das Wort geht auf das althochdeutsche „Wunnimanot“ zurück und bedeutet „Weidemonat“. Das weist darauf hin, dass man in diesem Monat das Vieh wieder auf die Weide treiben konnte. Mit „Wonne“ im heutigen Begriffszusammenhang hat der alte Monatsname also nichts zu tun. Doch einmal falsch verstanden, immer falsch fortgepflanzt. Auch im Deutschen Wörterbuch der Brüder Grimm heißt es im Jahr 1587: „maius, der may, nach dem Laub benannte Karl der Große den wonnemonat, das heißt den Monat der Lieblichkeit“. Einigen wir uns darauf: Es ist eine Wonne, auf den Weiden des Mai zu grasen.

Der April, noch einmal er. Ruppig, rau, rollend – buchstäblich. Er trägt noch das „r“ in sich. Und in einem Monat mit „r“ darrrf man nicht barrrfuß gehen, hieß es damals, sonst drrrohe eine böse Verrrkühlung. Erst im lieblichen Mai durfte man seine nackten Kindersohlen auf die inzwischen ausreichend aufgewärmte Erde setzen. Erst im Mai konnte dann der Jugendliche gemeinsam mit anderen Rabauken den reichlich verzierten Maibaum aus der Anrainergemeinde umschneiden, fladern und gegen reichlich Lösegeld den geschmähten Nachbarn zurückgeben.
Und nur in diesem zauberhaften Monat konnten die jungen Erwachenden allabends vorgeblich zur Maiandacht pilgern, dort die schönsten Maiden des Dorfes treffen und sich mit ihnen in den lauen Mainächten fortträumen.
Bis nach Miami.
Oder gar noch weiter.