Der Papst hat das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen, doch unbarmherzig hat sich diese erste Erinnerung an die Stadt, seine Stadt gleichsam, in mein Hirn eingebrannt: "Anita, Brunnen, Fellini?", frage ich im astreinen Italienisch den jungen Römer, dessen wölfisches Lächeln ich mir vermutlich nur einbilde. Jedenfalls weist mir der junge Mann freundlich den Weg dorthin, wohin meine Schwarz-Weiß-Reminiszenz führt: An den Fontana de Trevi, zum Trevi-Brunnen; dorthin, wo in meiner Nostalgie Anita, Ekberg nämlich, und Marcello, Nachname Mastroianni, ein ebenso geschichtsträchtiges wie lustvolles Bad genommen haben. Den Brauch, Münzen zum guten Glück in ebendiesen Brunnen zu werfen, hab ich bis heute beibehalten; einmal Nostalgiker, immer Nostalgiker. Keine Besserung in Sicht. Rom also. Eine unbarmherzig schöne Stadt!

Wir können jetzt das Pflichtprogramm erledigen: den Petersdom anhimmeln, vor der Pieta in die Knie gehen und im Kolosseum im Kreis; vor der Engelsburg stehen und an der Spanischen Treppe liegen. All das muss sein - und noch viel mehr.

Junger Römer

Denn Rom hat nicht Geschichte, Rom ist Geschichte. Aber wenn man die Last der Historie ablegt, kann man befreit durch die Gassen streunen und ganz tief durchatmen. "Wohin genau geht der Weg?", frage ich den jungen Römer. Er antwortet:

"Komm, lass doch den blöden Brunnen Vergangenheit sein und die Ekberg glorreiche Cinemascope-Geschichte. Starten wir stattdessen an der Spanischen Treppe, an der Piazza di Spagna. Von dort aus gehen wir die Via Condotti entlang, streunen völlig ohne Absicht durch, die kleinen Seitenstraßen dort sind voll Leben und Abenteuer. Im ,El Greco' legen wir dann eine Kaffeepause ein." Die kleine Reise durch Rom bekommt Konturen, das Gesicht dazu auch. Und einen Namen. Pierro heißt unser Reiseführer, der nach der Kaffeepause munter fachmännische Furchen durch seine Stadt zieht.

"Avanti, komm! Schau, hier ist die Via del Corso, dort die Via Borghese, gleich links geht es in die Via di Campo Marzio bis zum Pantheon. Du bist sicher schon hungrig, nicht wahr? Das trifft sich gut. Auf der Piazza San Eustachio, im gleichnamigen Restaurant, speisen die Römer. Es gibt köstliche Pasta, frittiertes Gemüse, offenen Prosecco. Prost, mein Freund, salute!"

La Dolce Vita, das süße Leben. Schon wieder sind wir bei Fellini gelandet. Und bei Pierro. "Wenn du Süßes willst, gehen wir auf die Piazza Navona, dort gibt es herrliches Eis. Und gleich nebenan, in der Via Governo Vecchio, kannst du einkaufen; shoppen, aber nur das Wort ist uniform. Denn hier sind die Individualisten daheim, Ketten wirst du keine finden. Falls du noch Geld übrig hast, mein Freund, kannst du ein Stück weiter, in der Via Coronari, Antiquitäten einkaufen."

Müde? Keine Spur. Pierro läuft zur Hochform auf - und hat sogar Lauftipps zur Hand.

Laufender Römer

"Steh auf, wenn die Stadt sich reckt - und starte an der Villa Borghese; einem Naherholungsgebiet ähnlich dem Central Park in New York. Von dort läufst du hurtigen Schenkels in die Viale del Giardino, wo sich ein kleiner See befindet. Bevor du dich wieder auf den Rückweg begibst, solltest du unbedingt auf der Aussichtsplattform an der Westseite des Parks innehalten. Von dort hast du einen traumhaften Blick auf die Piazza del Popolo, auf die Engelsburg und den Vatikan."

Der Papst hat das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Und Pierro hat uns gezeigt, wie unbarmherzig schön und spannend seine Stadt sein kann. Weil man beides gehörig feiern muss, entführt Pierro zum Abschluss auf die Piazza Santa Maria delle Trastevere. Dort erklingt der vielstimmige Chor Roms, dort geht die Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft eine heilvolle Allianz ein.

Und dort, das musste ja kommen, herrscht La Dolce Vita.