Grün. Welch Überschwang an satt-saftigem Grün! Der erste Eindruck, den sich die noch verschlafenen Augen im Anflug auf Fort-de-France, der Hauptstadt von Martinique, verschaffen – er bleibt auch. "Madinina", wie viele Einheimische ihr Eiland der Sprache der Ureinwohner folgend noch immer nennen, steht nicht ohne Grund für "Blumeninsel". Hier schöpft die Natur aus dem Vollen. Die beeindruckende Flora formte Land und Menschen, Martinique ist wie eine exotische Braut, die mit ihren üppigen Reizen nicht geizen will.

EU in der Karibik

Das vollwertige französische Übersee-Département hat etwa den Einwohnerstand von Vorarlberg, 386.000 Menschen verteilen sich auf 1128 km². Es ist 6900 Kilometer von Paris entferntes EU-Gebiet (Geldautomaten spucken Euro aus), auch wenn einen beim Verlassen des internationalen Flughafens tropisches Klima empfängt. Von Juni bis Oktober herrscht Regenzeit, und auch im November spart Mutter Natur nicht mit der einen oder anderen vertikalen Erfrischung. Dazu sorgt der Passatwind, in diesem Teil der kleinen Antillen "Alizés" genannt, für Abkühlung – bei enormer Luftfeuchtigkeit und ganzjährig ordentlichen Temperaturen ist das willkommen.

Diese Insel will genossen, erfahren und erlebt werden – neben Sonnenschutz, Hut und einer Badehose sollte man auch gutes Schuhwerk für Wanderungen dabeihaben. Die Partie auf einer ortstypischen Jolle, zu der zu Beginn geladen wird, spricht den engagierten Festlandmatrosen an und erfordert mehr Geschick als zunächst erwartet: Die Besatzung stabilisiert das kiellose Boot durch Gewichtsverlagerung, indem sie mehr oder weniger weit auf Holzstangen nach außen rutscht. Hart am Wind und unter kundiger Anleitung der Profis nehmen wir Fahrt auf – mit temporärem Gefühl von Freiheit und salziger Gischt in der Nase. Dass man beim Ruder mitanpacken darf, ist  schon eine kleine Adelung.

Der nächste, jedem Besucher herzlich anempfohlene Programmpunkt ist eher passiv angelegt, aber nicht minder interessant: Die 1749 gegründete Destillerie "La Mauny" folgt im Unterschied zu anderen, weniger nachhaltigen Anbietern vor allem ökologischen Ansprüchen. Basis für die unzähligen Rumsorten der Insel ist Zuckerrohr, das überall in Spitzenqualität wächst. Eine Führung über das Gelände erinnert an die koloniale Vergangenheit. Bei einer kleinen, aber beherzt in Angriff genommenen Verkostung wird der dunkle "Rhum Épicé" zum Favoriten unter den Mauny-Tropfen gekürt. Nicht zu vergleichen mit dem, was in Europa als Rum ausgeschenkt wird.

Kreolische Kocheinheiten

Zu einem weiteren Höhepunkt, der Gaumen schnalzen lässt, wird die kreolische Kochstunde, zu der Prisca Morjon am Brennereigelände einlädt. Die sympathische Insulanerin bloggt und wurde mit einer eigenen TV-Show auf dem ganzen Eiland bekannt. Ihr Menü legt sie dann natürlich auch landestypisch an: Nach "Accras de Morue", das sind frittierte und raffiniert gewürzte Stockfischbällchen, kommt "Hühnchen Colombo" mit Reis und Gemüse auf den Tisch. Jene Teilnehmer, die sich beim gemeinsamen Kochen geschickt genug anstellen (der Verfasser dieses Berichtes legte sich erfolgreich ins Zeug), qualifizieren sich für ein besonderes Dessert: Eine Tarte Tatin mit viel Banane.

Und damit ist man bereits bei der sattgelben, vielfältig krummen und wohlschmeckenden Lebensader der Insel: Drei Viertel der lokalen Bauern leben von jenen 200.000 Tonnen der Frucht, die jedes Jahr nach Frankreich exportiert werden. Bei der Fußtour durch eine der großen Plantagen werden neben vielen interessanten Fakten auch Dutzende Sorten präsentiert – viele hat der Festlandeuropäer noch nie gesehen. Im humorvollen und geerdeten, freundlichen, aber keineswegs aufdringlichen Guide Luc (Versuche, ihm den sinnfreien Spruch "Alles Banane" zu erklären, scheitern zu Recht) sind viele Eigenschaften der Einheimischen vereint. Dabei hat die Insel viel mitmachen müssen: Historisch betrachtet wurde Martinique über Jahrhunderte zum kostbaren Spielball. Die Schatzinsel wechselte sieben Mal zwischen britischer und französischer Herrschaft. Erst 1848 wurde die Sklaverei endgültig abgeschafft – ein Thema, das man mit gebotener Behutsamkeit ansprechen sollte.

Panoramarundumblick gibt es auf derAussichtswarte von Balthazar Trigla, einem frisch wirkenden Mittachtziger. Balthazar, lokale Größe mit verwegen gemustertem Sakko, erzählt 1001 Geschichten von seiner Geburtsinsel, die er nur einst für einige Jahre als Kampfpilot in der französischen Armee verlassen hat. Hier, nahe der Südküste, wird die brodelnde DNA von Martinique offenkundig: Alle sieben Vulkane sind vom "Point de Vue Morne Gommier" zu sehen. "Außer dem Montagne Pelé schlafen alle. Das bleibt hoffentlich auch so", sagt Balthazar mit wissendem Augenzwinkern unterlegt. Wer der Natur noch näher sein will, kann zur Erkundung des regional verwalteten Naturparks, immerhin 63.000 Hektar groß, aufbrechen. Von Ananas bis Passionsfrucht, von  Brotfrucht bis Maracuja: alles hier zu finden und zu kosten.

Französisch überall

Ein Maß Frankophilie sollten Reisende schon mitbringen, des Französischen Mächtige sind im Vorteil: Englisch ist nicht einmal in der Hotellerie selbstverständlich, Informationsbroschüren werden häufig nur in der Amtssprache aufgelegt. Das sollte man trotzdem als liebenswerten Eigensinn und nicht als Ignoranz oder Bevormundung auslegen, hat das allgegenwärtige Französische neben ordentlichen Straßen und europäischen Sicherheitsstandards auch noch andere Vorzüge: Es ist kein Problem, an guten Café au Lait oder feine Croissants zu kommen. Noch karibischer wirkt der benachbarte Inselstaat St. Lucia – das Commonwealth-Mitglied hat formal Queen Elizabeth II. als Oberhaupt. Ärmer als Martinique (Zahlungsmittel ist der ostkaribische Dollar) ist das Aroma hier ein anderes: ein etwas wilderes Eldorado für Taucher und Schnorchler, Umweltfreunde und Ornithologen, Wanderer und Seelenbaumler.

Das "Pitons"-Naturschutzgebiet mit dem "Tet Paul"-Trail, erkalteten Vulkankernen, Korallenriffen und Geothermalfeldern ist einfach atemberaubend. Jene, die es in den Regenwald zieht, sollten Guides engagieren. Das außergewöhnliche Resort "Jade Mountain" bei Soufrière bietet luxuriöse Suiten, die dem Ozean zugewandt auf Mauern verzichten. Doch auch mit weniger Prunk wird es auf Martinique und St. Lucia paradiesisch. Hüben wie drüben schickt einem das bacherlwarme Meer, Infinity Pool der Natur, sanfte Wellen zum Ufer – und die Gedanken auf ganz weite Reise.