Über Irland zu schreiben, heißt Partei ergreifen“, notierte Heinrich Böll in sein irisches Tagebuch. Was dem Dichter einst als Inspirationsquelle diente, ist heute Sehnsuchtsland für jene, die diese besondere Melange aus herber landschaftlicher Schönheit und eigenwilligen Charakteren suchen. Eingefasst von 5500 Kilometern Küstenlinie finden sich Gegensätze, die kaum größer sein könnten. Auf der einen Seite die Millionenstadt Dublin, auf der anderen Landstriche wie eine Etüde an die Kargheit. Dazwischen Farmland, Pferdeweiden, eingesprenkelt Burgen, Schlösser und prähistorische Plätze.

Der Westen, insbesondere die Region Connemara, könnte als Inkarnation des „echten“ Irland firmieren, denn hier findet sich auf engstem Raum ein Destillat ikonischer Landschaften: Moore, Kegelberge und ein Küstenstreifen durchsetzt von Buchten und Halbinseln. Vorgelagert im Meer liegen drei Steinplatten, die erstaunlicherweise seit urdenklichen Zeiten besiedelt sind: die Aran Islands.

Ein von Steinwällen ziseliertes Land

Als die ersten Siedler anlandeten in Inishere, Inishmaan und Inishmore, fanden sie eine Steinwüste vor, die sie gründlich aufräumten, die Steine zu Mauern schichteten. Auf die entstandenen Flächen dazwischen warfen sie eine Mischung aus Tang und Sand, die den Inseln eine gewisse Fruchtbarkeit gab. Das Ergebnis ist ein von Steinwällen ziseliertes Land, dem die Gischt eine weiße Krone aufsetzt. Im Sommer ist das karge Land voller Leben, insbesondere auf Inishmore, der größten Insel. Minibusse befördern Besucher über die holprigen Gassen, Fahrradverleihe appellieren an die Wetterfesten und alle treffen sich wieder bei Dún Aengus, einer Wehrburg, die über einer Klippe und aus dem Nebel der Geschichte ragt.

Eine Ikone unter den Lokalen ist das "Dick Mack´s" in Dingle
Eine Ikone unter den Lokalen ist das "Dick Mack´s" in Dingle © Hartmut Krinitz

Am Nordufer der fjordartigen Einbuchtung des Killary Harbour beginnt Mayo. Wenn es eine Essenz gibt, ein irisches Konzentrat aus Leere und seltsamer Magie, ist es dieser Platz. Im Moorland wird immer noch Torf gestochen und zu kleinen Pyramiden aufgehäuft - Brennmaterial seit Jahrhunderten. Das Moorland bricht schroff ins Meer, manche Klippen zählen zu den höchsten Irlands. Hier endet Europa und jenseits des Meeres liegt Amerika, das gelobte Land für Millionen Iren.
Und was für Irland im Allgemeinen stimmt, gilt für Mayo insbesondere, denn Unzählige verließen das Land in einer Zeit, als Leben noch Überleben hieß, weil die karge Krume die Kinder nicht ernähren konnte, und traten ihn an, den Weg zwischen Hunger und Heimweh. „Famine Roads“, Hungerstraßen, werden noch immer die schmalen und gewundenen Straßen der Insel genannt.

An der Clew Bay steht Irlands Zuckerhut. Erodiert zu einem Geröllhaufen, ebenmäßig, nackt, der heilige Berg - Croagh Patrick. An seinem Fuß blüht im Frühjahr der Stechginster, später der Rhododendron und eine schneeweiße Statue des heiligen Patrick steht bei den letzten Häusern am Beginn des Pilgerpfades, der oft ein breiter Weg ist und an der Kapelle auf dem Gipfel endet. Im Jahre 441, so weiß die Legende, hat der irische Nationalheilige dort oben 40 Tage verbracht, betend, meditierend. Als er schließlich wieder hinabstieg, trug er das Kleeblatt als Zeichen der Dreifaltigkeit mit sich und hatte die Schlangen von der Insel verbannt.

Legendäre Pubs

Wenige Kilometer nur vom Fuß des heiligen Berges liegt Westport am Südwestzipfel der Clew Bay. Das Städtchen hat den Wandel geschafft vom Reißbrettentwurf des 18. Jahrhunderts zum charmanten Ausflugsziel unserer Tage. Es herrscht kein Mangel an Restaurants, Cafés und Kunstgewerbeläden. Wer Irish Folk mag, kehrt bei Matt Molloy an der Bridge Street ein, wo der Flötist der Chieftains sich manchmal auch selbst die Ehre gibt. Dem Moorland folgen der hügelige County Sligo und Donegal mit seinen grünen Glens, der Heidekrautwildnis und den Bergen im Inneren, die besser „erlaufen“ sein wollen - bei entsprechendem Wetter, versteht sich.


„Soft Days“ nennen die Iren jene feuchten Tage, an denen der Nebel in den Pint Stout, dem Schwarzbier, kriecht. Aber an solchen Tagen gibt es Abhilfe. „It never rains in the pub“ - „Im Pub regnet es nie“, sagt ein Sprichwort. Und es gibt sie noch, die alten originalen Trinkstätten, von der Patina der Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte belegt, mit wenig mehr sichtbarem Tribut an die Moderne als dem schimmernden Display der Registrierkasse. Bunt gemischte Zonen der Kommunikation, an denen sich abends eine alterslose Gesellschaft knäult.

Das Ende der Welt

Lange Zeit galt Achill Island als das „Ende der Welt“. „God help us“, hat Heinrich Böll geschrieben auf seinem ersten Weg dorthin, zu seiner zukünftigen Seelenheimat. Achill, die größte Insel vor Irland, ist mit einer Brücke ans Festland geklebt. In Dogoort steht es noch, das kleine Cottage des deutschen Schriftstellers. Roger, der Besitzer des alten Pubs, hat ihn noch gekannt. „Henrik Boll“, sagt er, „ja, er kam oft zu Besuch. Ein angenehmer Mensch, befremdlich nur, dass er Schriftsteller war und nicht trank.“