Es ist ein klarer Fall von akuter Tippseritis. 80 Mal pro Tag, oder alle 18 Minuten, soll der durchschnittliche Nutzer heutzutage sein Smartphone entsperren. Bei jüngeren Menschen liegt die Zahl noch deutlich höher. Oft dauert das Ablenkmanöver nur ein paar Sekunden, meist aber länger. Dann rattert der Finger über Profile von Facebook-Freunden oder Instagram-Bekannten, tippt aufgeregt WhatsApp-Nachrichten und beantwortet schnell berufliche Mails.

Wie sich das auf unsere Gefühlslage auswirkt? Das Institut Imas tastete sich an diese Frage jüngst sanft heran und wollte von 1000 Österreichern wissen, wie sie die „Veränderung der Gesellschaft“ wahrnehmen. Eine Erkenntnis der Studie war, dass die Befragten mehrheitlich meinen, Veränderung passiere zurzeit viel zu schnell. Die „Diskrepanz zwischen gewünschter und erlebter Veränderung“ werde immer größer, konstatiert der Studienautor Paul Eiselsberg nüchtern. Der „Wettlauf mit sich selbst“ würde vor allem durch moderne Kommunikationsmittel geprägt. Diesbezüglich stimmig ist, dass die Österreicher bei den „beschleunigenden Aspekten des Alltags“ in der Befragung einen eindeutigen Spitzenreiter ausmachen: die „Nutzung von Smartphones, Tablets, PC oder Notebooks“ nämlich.

Vermengung von Beruf und Arbeitsruhe

Ortswechsel. In Stuttgart überlegte Uwe Hück Ende des vergangenen Jahres sehr laut, E-Mails in der Freizeit löschen zu lassen. Der Betriebsratsvorsitzende von Autobauer Porsche fürchtet eine zu hohe Arbeitsbelastung durch die Vermengung von Beruf und Arbeitsruhe. Diese soll wiederum just durch jenes Smartphone heraufbeschwört werden, dessen große Versprechung doch ist, das Alltagsleben von Menschen zu vereinfachen. Immer häufiger wird von Arbeitnehmervertretern auch eine breit angelegte Studie der Universität Zürich zitiert, die in der Fachzeitschrift „Business and Psychology“ veröffentlicht wurde. Deren Resümee: Wer Arbeit und Freizeit nicht klar trennt, ist schneller erschöpft und gefährdet sein Wohlbefinden. Kreativität und Produktivität würden zudem im Gleichklang sinken.

„Wir sind nie mehr unerreichbar, nie außer Dienst. Per Mail stehen wir quasi minütlich im Kontakt zu unserer Arbeit. Das kann auf Dauer nicht gut sein“, sagt dazu der Biochemiker und Medizin-Nobelpreisträger Thomas Südhof. Er ortet ein Mehr an chronischem Stress, das den Menschen und sein Gehirn nachhaltig verändere. Wie Südhof sich davor bewahren will? „Ich selbst schalte um 20 Uhr alle elektronischen Geräte aus und erst nach dem Frühstück wieder an.“

Damit ist der Wissenschaftler Teil einer Bewegung, die immer mehr Fürsprecher findet. „Digital Detox“, digitale Entgiftung, nennt sich der Gegenentwurf zum Verschmelzen von Mensch und Maschine. Semantisch weniger radikal, in der Sache aber ähnlich gelagert und mittlerweile ebenso geläufig, ist das Begriffspaar „Digital Balance“, deren Befürworter einen ausgeglicheneren Umgang mit Smartphones anstreben. Wichtig scheint den Protagonisten die Differenzierung. Man will Smartphones nicht verteufeln, aber eindringlich für einen sorgsameren Umgang plädieren. In vielen Lebensbereichen. Für einen smartphonefreien Familientisch kämpft etwa die US-Initiative #devicefreedinner, in Deutschland bemüht sich das Verkehrsministerium mit der Aktion #FingervomHandy um einen smartphonefreien Straßenverkehr.

Hilfreiche Apps

Zahlreiche Apps wollen bei der Entwöhnung helfen, auf Produktseite werden Boxen mit Zeituhren oder Abschirmhüllen angeboten. Ob derlei die Smartphoneverwendung nachhaltig ändert, ist offen. Klar ist nur: Nach einem Verzicht wird häufig überkompensiert und die Nutzung steigt stark, wie die Sozial- und Gesundheitspsychologin Theda Radtke herausfand. Es sei besonders herausfordernd, Gewohnheiten zu ändern. Dass selbiges dem Smartphone recht flott gelang, steht heute außer Frage.