Es schaut wie ein Schmuckstück aus, wie es so schön gleichmäßig dunkelgrün blinkt. Nur der Träger des rund ein Quadratzentimeter großen Geräts fühlt sich sichtlich unwohl: „Ich komme mir vor wie ein Versuchskaninchen.“ Kein Wunder, denn der sogenannte „Recaller“ kann direkt auf Erinnerungen im Gehirn zurückgreifen. Ein Segen für Polizei und Versicherungen, die Informationen ungefiltert von der Quelle bekommen – also vom Gehirn selbst. Oder eine Mutter, die aus Angst um ihr Kind auf eine neue Technologie zurückgreift: Ein Implantat im Gehirn macht es möglich, dass man fortan das Kind nicht nur jederzeit orten, sondern auch durch seine Augen sehen kann.

Bevor Sie jetzt mit einer zünftigen Technikkritik loslegen, drücken wir auf die Stopptaste – alles nur erfunden. Seit vier Staffeln blickt der britische Satiriker Charlie Brooker in der Netflix-Serie „Black Mirror“ in die Zukunft einer digitalisierten Welt. Mal futuristisch, mal so real, dass es einen gruselt, und manchmal ist es so schockierend, dass man sich nur abwenden kann. Zukunft verdichtet, irgendwo zwischen Realität und Dichtung. Wobei im Moment der Aufprall von Science Fiction in Richtung Realität noch ziemlich heftig ist: Als „Hollywood-Denken“ bezeichnet Patrick Kramer, das, was uns James Bond & Co. so gerne als Fortschritt servieren. Dabei muss man nicht Bond sein, um bekannt zu werden. Als Patrick Kramer 2016 auf der weltgrößten IT-Messe Cebit Mikrochip-Implantate gesetzt hat, war das Echo enorm. Das Implantat, damals eine Glaskapsel (heute Biopolymer), die knapp größer als ein Reiskorn ist, wird mit einer Spezialspritze in den meisten Fällen zwischen Daumen und Zeigefinger unter die Haut gesetzt.

Das Mikrochip-Implantat von Digiwell
Das Mikrochip-Implantat von Digiwell © Digiwell


Ein kurzer Schmerz, kaum Blut und schon ist man ein Cyborg. Eine Mensch-Maschine. Was jetzt schon wieder nach Science Fiction klingt, ist so banal, dass sogar Kramer lachen muss. Denn Mikrochip-Implantate wie sie der Hamburger mit seiner Firma „Digiwell“ vertreibt, fallen unter die Kategorie Piercing. Auch die Technologie dahinter ist keine Raketenwissenschaft: „Bankkarte, Bonuskarte, Mitarbeiterkarte, alles läuft mit der gleichen Technologie. Die Funktechnologie RFID kennen wir seit über 30 Jahren“, so Kramer, der amüsiert nachlegt: „Jedes Haustier hat heutzutage einen Mikrochip auf Basis dieser Technologie.“

In der Praxis besteht diese passive Technologie, die nicht von sich aus funkt, aus einer Kupferantenne und einem Mikrochip. „Wird diese Antenne von einem Magnetfeld, einem Lesegerät, wie etwa bei einem digitalen Schließzylinder in einer Haustür, angesprochen, nimmt sie ein bisschen Strom auf, damit sie rechnen kann, und kann so Informationen abgeben“, erklärt Kramer. Er selbst nutzt sein Implantat für unterschiedliche Zwecke: um die Haustür aufzusperren oder seinen Computer zu entsperren. Aktuell wird am Nachfolgeprodukt gearbeitet, der Fokus wird hier auf die Datensicherheit gelegt. Blockchain und Kryptowährungen sind ein großes Thema.

Patrick Kramer von Digiwell


Rund 50.000 Menschen tragen weltweit so ein Mikrochip-Implantat. Und längst ist es nicht mehr nur ein Gag für Technik-Freaks: Im Juni ist die schwedische Bahn auf diesen Zug aufgesprungen und hat das Implantat als Zugticket getestet. Für weit größere Aufregung hat aber die schwedische Firma Epicenter gesorgt, die ihren Mitarbeitern freiwillig Mikrochip-Implantate unter anderem als Türöffner oder zum Kopieren offerierte. Hier zeigen sich die Bruchlinien zwischen Technikbegeisterung und absoluter Ablehnung wohl am schärfsten: Ist es ein Fortschritt, der am Ende vielleicht sogar in der Abhängigkeit mündet? „In Zukunft werden wir so weit sein, dass wir unseren Körper nicht ersetzen, sondern weiter aufrüsten“, so Patrick Kramer. „Bodyhacking“ nennt man die Erweiterung eines Körpers und seiner Sinne mit technischen Hilfsmitteln. Oft ist es weit mehr als eine technische Spielerei: „Ich habe Kunden, die sind blind und für die sind solche Implantate ein Stück Lebensqualität.“


Ein Aushängeschild dieser Bewegung ist der von Geburt an farbenblinde Brite Neil Harbisson. Dank „Bodyhacking“ kann er Farben als Töne hören. Möglich macht das sein „Eyeborg“. Ein an einer Antenne montiertes elektronisches Auge, das Farben in Töne übersetzt und diese direkt an die Nerven in seinem Schädel überträgt. Wo die Reise hingehen soll, hat Tesla-Chef Elon Musk vor einem Jahr skizziert: Er erforscht mit der Firma Neuralink, wie man das menschliche Gehirn direkt mit Computern vernetzen kann. Längst sind neben vielen Universitäten auch private Firmen an der Forschung beteiligt. „Neben Musk und anderen Firmen arbeitet auch Brian Johnson mit Kernel an einem BCI, einem Brain-Computer-Interface, mit dem ich über Gedanken Objekte bewegen kann oder Prozesse automatisieren kann“, erklärt Kramer die kühne Vision.

Die Ankündigung, dass erste Implantate in rund acht Jahren marktreif sein sollen, hält Patrick Kramer für zu ambitioniert. Dass die Welt dadurch eine andere werden wird, ist klar. „Es wird die Menschheit komplett verändern. Wir werden dann nicht mehr miteinander sprechen, sondern gemeinsam denken. Aber das machen wir heutzutage auch, nur haben wir dafür ein kleines Gerät in den Händen, das sich Handy nennt“, amüsiert er sich. Beim gemeinsamen Denken ohne Handy kann man sich zumindest in die Augen schauen.