Reinhard Wurzinger zupft an einer Rebe. Vor dem Familiensitz in der Nähe von Bad Gleichenberg in der Oststeiermark schickt ein alter Weinstock seine Triebe ans Licht. Bald werden die Blätter einen grünen  Schutzvorhang gegen die Sommerhitze bilden. Ein idealer Platz, um ein Glaserl Wein zu trinken. Ein tiefer Atemzug – schon duftet es nach einem Meer aus Blüten – Linde, Flieder, Holler. Am Rande auch Gras, Salzkaramell, Orange und Honig. Ein wunderbarer vielschichtiger Duft. Er entströmt aber keinem Weinglas, sondern den Trauben selbst. Der Wein von Reinhard Wurzinger steht derzeit in voller Blüte.

Seit neun Generationen dreht sich in der Familie alles um den Weinbau. Schon immer hat man dem Wein hier viel Zeit gelassen. Und auch jetzt setzt man noch auf  jahrhundertealtes Handwerk und den Faktor Zeit – jeden Herbst werden die Trauben in einer alten Baumpresse gekeltert. Was andernorts nur noch als Zierde den  Schankraum schmückt, ist hier im Herbst das wichtigste Arbeitsgerät. „Ein enormer Aufwand steckt schon  dahinter“, sagt Wurzinger, der vor dem VWL-Studium das Kolleg der Weinbauschule Silberberg absolvierte. „Aber der Wein wird so schonender gepresst. Es lohnt sich.“

"Solange der Wein braucht"

Leistet ganze Arbeit: die Baumpresse von Reinhard Wurzinger
Leistet ganze Arbeit: die Baumpresse von Reinhard Wurzinger © (c) KANIZAJ MARIJA-M. | 2015

Der Pressbaum aus steirischer Eiche nimmt fast die ganze Raumlänge ein. Auf der einen Seite ein gewaltiger Senkstein, auf der anderen der „Kiebl“, eine Art Holzbottich ohne Deckel und Boden. Im Herbst werden die Trauben gerebelt, angequetscht, und ruhen zum ersten Mal. Die entstandene Flüssigkeit wird abgegossen und die Maische – die Mischung aus Traubenstücken und Most – kommt in den Bottich, der bis zu zwei Tonnen fassen kann. Dann wird gepresst – und das geht sehr langsam
vor sich. Ist man zu ungeduldig, hebt sich das Holz und die Maische fliegt einem um die Ohren.

Etwa zwölf Stunden dauert der Pressvorgang. „So lange, wie der Wein braucht.“ Am Ende wird die Holzhülle entfernt. Zurück bleibt der Pressku-chen. Er wird nur einmal von Hand aufgelockert und dann mit den Füßen bearbeitet. Barfuß – wie in den alten Filmen – steigt aber keiner mehr in den Früchtekuchen. „Eine herkömmliche Presse lockert den Rückstand bis zu achtmal auf“, erklärt Wurzinger. Beim Lockern entstehe aber eine Reibung zwischen den Beerenhäuten, Trüb- und Bitterstoffe lösen sich.

Was den Welschriesling aus der Baumpresse ausmacht? „Er ist weich, füllig und gut lagerfähig, hat ein zartes
Bouquet aus Apfelnoten und ist ein herrlicher Sommerwein.“ Spricht’s und steckt die Nase in eines der Traubenbündel vor der Haustür. Auf jeder der noch stecknadelkopfgroßen Trauben sitzen die winzigen  cremeweißen Blüten, mit einem Klecks Gelb an der Spitze, als hätte sie die Sonne selbst bemalt.

Schattiger Sommergenuss: Verweilen im Weingarten vor den Winzerzimmern der Familie Wurzinger
Schattiger Sommergenuss: Verweilen im Weingarten vor den Winzerzimmern der Familie Wurzinger © (c) KANIZAJ MARIJA-M. | 2015