Wenn das Wort Autismus fällt, kommt vielen noch immer zunächst Dustin Hoffman in der Rolle des Rain Man in den Sinn, mittlerweile auch TV-Detektiv Monk. „Oder das Wort wird als Schimpfwort gebraucht, im Sinne von ,du bist ja autistisch‘“, weiß Martin Schenk, Psychologe und Sozialexperte bei der Diakonie.

Die spektakulären Fähigkeiten dieser Figuren, die man Inselbegabungen nennt, faszinieren – „aber bei Weitem nicht alle Menschen mit autistischer Wahrnehmung haben solche Fähigkeiten“, sagt Gudrun Schein, die das Zentrum für Menschen mit Autismus und Asperger-Syndrom in Graz leitet. Viel mehr spricht man heute vom Autismus-Spektrum: Die Erscheinungsbilder können sehr unterschiedlich sein, sie reichen von „hochbegabt bis stark entwicklungsverzögert“, sagt Schein. Es gebe Kinder mit Autismus, die mit drei Jahren sprechen wie kleine Erwachsene und es gebe Betroffene, die gar keine Sprache haben.

Reizüberflutung

Autismus ist eine Wahrnehmungsstörung: Die Reize, die ständig auf uns einprasseln, können schlecht gefiltert werden, daher kommt es bei Betroffenen schnell zu einer Reizüberflutung. Die Reaktion darauf ist, dass sich Betroffene in ihre eigene Welt zurückziehen: Sie verbringen viel Zeit mit Spezialinteressen, machen ihre Welt dadurch kleiner, um sich besser zurechtzufinden.

„Wenn man sich so intensiv mit einem kleinen Teil der Welt beschäftigt, wird man zum absoluten Experten“, sagt Schein. Das kann eine große Ressource sein und auch beruflich genutzt werden. So stellt zum Beispiel der deutsche Softwarekonzern SAP gezielt Autisten ein – unter dem Motto: Fehler finden, die sonst keiner findet.

Etwa ein Prozent der Bevölkerung ist von einer Störung aus dem autistischen Spektrum betroffen, sagt Schein. „Das sind in Österreich immerhin 87.000 Menschen.“ In der Betreuung und Therapie gebe es aber großen Aufholbedarf, wie Sozialexperte Schenk sagt. „Es gibt viel zu wenig leistbare Therapieplätze“, sagt Schenk. Jutta Steidl, Präsidentin der Autistenhilfe, zeigt auch auf, dass Eltern noch sehr viele Kosten selbst tragen müssen.

Gesichter verstehen lernen

Aufholbedarf gebe es auch bei der Schulassistenz: Diese sei für autistische Kinder in Schulklassen besonders wichtig. Dadurch könnten Kinder die Klasse verlassen, wenn sie überfordert sind, auch zwischenmenschliche Missverständnisse könnten besser geklärt werden.
„Autisten haben Schwierigkeiten, die Mimik und Gestik von Menschen zu deuten“, sagt Schein.

So erzählen Erwachsene mit Autismus, dass sie sich die Bedeutung von Gesichtsausdrücken mithilfe von Büchern angeeignet haben. Für Schenk setzt hier die Frühförderung an: „Kinder mit Autismus können lernen, was ein bestimmter Ausdruck im Gesicht bedeutet“, sagt Schenk. So könnten schon Kinder an das Alltagsleben herangeführt werden und ihre speziellen Fähigkeiten – Pläne erstellen, strukturiert arbeiten – gefördert werden. „Betroffene Kinder brauchen ein individuelles Behandlungskonzept“, sagt Schein. Wichtig sei ebenfalls die Elternarbeit und auch der ständige Austausch mit Kindergarten, Schule und Arbeit gehöre dazu.

Hilfe finden

Dem Tag eine Struktur geben, eine genaue Abfolge von Aufgaben, die zu erledigen sind: Das sei in der Betreuung von Erwachsenen im Autismus-Spektrum zentral, sagt Christiane Dobernig von der Diakonie de La Tour in Klagenfurt. „Ab Mai bieten wir auch eine Beratungsstelle für Autismus an“, sagt Dobernig. „Denn oft wissen Betroffene selbst nicht, wo sie hinsollen.“