Die Natur blüht auf, der Mensch ist schlapp. Kann es sein, dass wir gar nicht müder sind als sonst, aber das gerade jetzt absolut nicht haben wollen?
Manfred Walzl: Die Frage ist berechtigt. Denn gibt es die Frühjahrsmüdigkeit überhaupt? Noch vor einigen Jahrzehnten war die Frühjahrsmüdigkeit eine Tatsache. Unseren Vorfahren standen im Winter erheblich weniger Vitamine und Nährstoffe zur Verfügung als uns – was sich negativ auf das Wohlbefinden und die Leistungsfähigkeit ausgewirkt hat. Aber wie auch immer: Neue Untersuchungen zeigen, dass jeder Zweite unter dem großen Gähnen leidet. Und sicher ist: Die Blutgefäße verändern ihren Querschnitt – bei Wärme, also im Frühling, wird er größer. Das kann zu Kreislaufproblemen führen. Geweitete Arterien und Venen lassen den Blutdruck absinken.

Manfred Walzl, Vorstand des Instituts für Schlafmedizin am Privatklinikum Hansa
Manfred Walzl, Vorstand des Instituts für Schlafmedizin am Privatklinikum Hansa © Walzl

Prinzipiell gilt: Wetterfühlige Menschen wie auch jene, die sowieso schon einen niedrigen Blutdruck haben, spüren die Frühjahrsmüdigkeit stärker. Das sind häufiger Frauen. Das gleiche gilt für ältere Menschen. Je fitter man ist, desto besser stellt sich der Organismus auf den Klimawechsel ein.

Kennen Sie Frühjahrsmüdigkeit selbst?
Nein, Gottseidank nicht. Mir passt jede Jahreszeit. Jede hat ihre schönen und nicht ganz optimalen Seiten. Aber so soll es ja sein. Unsere Seele braucht das Wechselspiel der Eindrücke, des Empfindens und der Gefühle – und die Jahreszeiten können dazu beitragen.

Beim Übergang vom Winter zum Frühling kommt es im Körper zu Umstellungen, auch hormoneller Natur. Was sind typische Erscheinungen, die im Frühling häufiger auftreten?
Da gibt es wenig Zweifel: Die Umstellung der Jahreszeit führt auch zu einer Änderung im Hormonhaushalt. Das kann für den Körper ganz schön anstrengend sein. Im Winter fehlt zum Beispiel das Wach-Hormon Serotonin, dafür ist der Spiegel des Schlaf-Hormons Melatonin hoch. Ursache dafür ist das geringe Lichtangebot, das bei vielen Menschen trübe Stimmung bis hin zur so genannten saisonaler Depression auslösen kann. Das Signal für die Hormonproduktion wird dabei von den Augen aufgenommen. Mit den länger werdenden Tagen stellt sich das Verhältnis der beiden Hormone um, was zu Problemen führen kann. Bis sich alles eingependelt hat, vergehen rund zwei Wochen. Aber es hat auch sein Gutes: Unsere Sexualhormone kommen wieder auf Touren, einem Flirt steht nichts im Wege.

Sie geben gerne den Rat, mehr mit der Natur zu leben. Was ist jetzt der richtige Lebensrhythmus für uns?
Da ist die Antwort wirklich einfach: Genießen! Genießen Sie das Sprießen der Blumen, den Duft des Waldes, das Zwitschern der Vögel. Kitschig? Ganz und gar nicht. Heute weiß man aus umfangreichen Untersuchungen, dass die Töne und Düfte der Natur eine unglaubliche Beruhigung unseres – angespannten – Nervensystems bewirken können. Daher: Computer ausschalten, Spielkonsole in die Ecke stellen und raus zum Genuss-Spaziergang!