Die Frage.Ich habe vor kurzem ein Interview mit Ihnen gehört, in dem Sie sagen, dass wir Frauen nicht dazu da sind, die sexuellen Bedürfnisse der Männer zu befriedigen. In was für einer Welt leben Sie? Wenn ich mich meinem Mann verweigern würde, gäbe es zuhause nur eine schlechte Stimmung, unter der unsere Kinder und ich sehr leiden würden. Sie scheinen zusätzlich auszublenden, dass Männer auch fremdgehen können, wenn sie in der Beziehung sexuell nicht das bekommen, was sie brauchen. Mir persönlich ist allemal ein Pflichtsex lieber, als dass ich eine angespannte Stimmung zuhause erleben muss oder mein Mann fremdgeht.

Elia Bragagna, Sexualmedizinerin
Elia Bragagna, Sexualmedizinerin © kk

Elia Bragagna antwortet. Ich respektiere Ihre Haltung. Mir erzählen viele Frauen, dass Pflichtsex ihr Beitrag ist, die Beziehung zu stabilisieren. Sexualität kann aber mehr sein als Pflicht und Dienstleistung. Sexualität ist auch die intimste Form der Nähe, Ausdruck von Lebensfreude, Offenheit, Lust, Liebe, Hingabe, Vertrauen, Spaß. Das kann man nicht erleben, wenn man Sexualität zum Pflichtakt reduziert.

Beziehung ist auch mehr, als immer die Wünsche des anderen zu erfüllen. Wer sich selbst genauso respektiert wie den anderen, wird eben auch ganz eigene Bedürfnisse haben, die ihren Platz brauchen. Zum Beispiel das Bedürfnis, NEIN zu sagen. Zwei gleichwertige Partner werden eine befriedigende Ersatz-Lösung finden, wenn sie den anderen gelegentlich enttäuschen. Die Lösung ist nicht, sich zu unterwerfen oder seinen eigenen Willen durchzusetzen.

So wie ich allerdings Ihre Nachricht lese, scheinen Sie diese Möglichkeit nicht zu sehen. Mehr noch, Sie haben Angst, dass Ihr Partner fremdgehen könnte, wenn Sie seine Wünsche nicht erfüllen. Angst ist in diesem Fall nicht der richtige Ratgeber, weil dadurch Ihre (sexuellen) Bedürfnisse unter die Räder kommen. Es gibt immer mehr als eine Variante, mit einem Problem umzugehen. Mit professioneller Hilfe kann man das lernen.