Felix, wir leben in bewegten Zeiten. Wie wichtig ist es, wieder zur Ruhe zu finden?

Felix Gottwald: Ich denke, dass Ruhe ein dringend benötigter Gegenpol in unserem Leben ist. Es gibt so viel Lärm, so viele Informationen, so viel Geschwindigkeit - da ist der natürliche Ausgleich für mich die Stille. Sie ist der Ort, an dem ich mich in meiner Balance üben kann.

Findest du die Stille an einem speziellen Ort?

Idealerweise ist die Stille ein Ort in dir selbst. So bleibst du flexibel und im wahrsten Sinne ortsunabhängig. Die Kunst ist, dass du Störfaktoren ausschaltest und dir Zeit nimmst. Für gewöhnlich schließe ich die Augen. Dann widme ich mich meiner Atmung und erlaube mir, nichts leisten zu müssen. Es tut gut, die Idee, dass man ständig etwas tun müsste, einfach mal loszulassen.

Und dann? Sitzt du da und tust nichts?

Ich sitze auf einem Meditationskissen und versuche bewusst wahrzunehmen, wie ich atme. Das bringt mich in die Präsenz. Aber auch die Bewegung an der frischen Luft ist für mich nach wie vor ein Lebenselixier.

Ist körperliche Aktivität wichtiger denn je, weil wir uns beruflich zunehmend statisch verhalten?

Wir haben zwei wichtige Feedbackgeber. Der eine ist der Körper. Der andere sind unsere Gefühle. Beides ist untrennbar miteinander verbunden. Ich glaube, dass man sich nicht mehr auf seine Gefühlswelt verlassen kann, wenn man den Kontakt zum eigenen Körper verliert.

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Viele junge Menschen reduzieren ihren Sport auf das Training im Studio. Bei manchen scheint es dabei weniger um Gesundheit als ums gute Aussehen für das nächste Selfie zu gehen. Siehst du das ähnlich?

Ich gehe auch einmal in der Woche ins Studio, um meinen Rücken zu pflegen. Und ich war mal in Peking, bei der Luftqualität bist du froh, wenn du in einem Studio trainieren kannst. Aber es stimmt, bei vielen Menschen scheint die Fassade wichtiger als der Kern. Dabei ist die spannende Frage doch, wer ich hinter meiner Maske bin. Diese Frage beleuchte ich auch in meinen Seminaren und Vorträgen.

Was kommt dabei zum Vorschein?

Erstaunlicherweise hinterfragen sich die Menschen immer seltener. Sie arbeiten jahrzehntelang To-do-Listen ab, ohne sich ernsthaft die Frage zu stellen: Was will ich eigentlich? Tue ich noch, was ich ursprünglich wollte? Wenn ich meine Töchter frage, was sie tun wollen, sagen sie: Ich will spielen! Kinder wissen ganz genau, was sie möchten. Sie sind damit ein großes Vorbild für uns Erwachsene.

Warum wissen Erwachsene nicht mehr, was sie wollen?

Die Kunst ist, dass du verstehst, was dich hindert und dir schadet. Und dass du tust, was dir hilft und dich nährt. Aber selbst wenn du es herausgefunden hast, kommt dir dieses Bewusstsein schnell wieder abhanden. Deshalb muss man fortlaufend daran arbeiten, seine Balance zu erhalten.

Und das tue ich wie?

Atmen! Du konzentrierst dich darauf, wie dein Atem kommt und geht. Das gelingt dir eine Zeit lang, dann driftest du gedanklich weg. Nun hast du mit jedem Atemzug wieder die Chance, zurück zu dir zu kommen. So ist das ganze Leben. Nur Eigenverantwortung bringt Handlungsfähigkeit und somit auch Leistungsfähigkeit und dauerhafte Gesundheit mit sich. Wenn du selbst nicht weißt, was du willst, wird jemand anderes dir sagen, was du tun sollst. Leider ist es demjenigen in der Regel ziemlich egal, ob du dabei glücklich wirst. Wenn du nicht selbst für dich bestimmst, erteilst du damit anderen den Auftrag, für dich zu bestimmen.

Wie finde ich denn heraus, was ich wirklich will?

Diese Frage habe ich mir früh gestellt und ich fand sie schwer zu beantworten. Also habe ich mich gefragt: Was will ich definitiv nicht? Das war dann gleich viel leichter.