„Der Mensch ist im Grunde ein wildes, entsetzliches Tier. Wir kennen es bloß im Zustand der Bändigung und Zähmung, welche Zivilisation heißt. Daher erschrecken uns die gelegentlichen Ausbrüche seiner Natur."

Soll Arthur Schopenhauer, dieser Misanthrop, recht haben? Und soll gerade der Frühling, die zauberhafteste aller Jahreszeiten, der Beweis dafür sein, dass unter der kultivierten Hülle nicht viel mehr steckt als die Summe aller Triebe? Soll auch für den Menschen mit dem Erwachen der Natur ein Erwachen der Lenden einhergehen, das zu brünftigem Verhalten und zünftigen Zusammenkünften führen soll? Das Konzept der Frühlingsgefühle legt genau das nahe: Wenn draußen alles zu sprießen beginnt, wächst demnach in uns der Drang heran, am Hochgefühl der Liebe zu naschen, sich zu verpartnern und so weiter.

Nackte Haut

Zunächst schrieb man das auch in der Wissenschaft der parallel zu den steigenden Temperaturen kürzer und insgesamt weniger werdenden Kleidung zu: Wenn dort, wo im Winter noch dicke Strumpfhosen waren, plötzlich Schenkel sind, und nackte Haut im Straßenbild Strickpullover ersetzt, so die simple Erklärung, wird das wohl auch dazu führen, dass die Lust zu keimen beginnt. Ja, vielleicht ist es zum Teil auch das. Doch mittlerweile gibt es einen biologischen Erklärungsansatz für das Phänomen.

In Relation zu den magischen Gefühlen und den beachtlichen Vorgängen in der Natur, die der Frühling zu erwecken vermag, ist die biologische Erklärung für die menschlichen Frühlingsgefühle auf den ersten Blick relativ banal: Sonnenlicht hebt die Laune. So einfach? Jein.

Ein gewisser Zauber

Sonnenlicht ist der Schlüssel, doch dem Prozess, der dadurch im Körper in Gang gesetzt wird, wohnt doch ein gewisser Zauber inne. Trifft Sonnenlicht auf unsere Haut, wird ein Hormon gebildet, das fälschlicherweise den Namen Vitamin trägt, Vitamin D nämlich. Und dieser Stoff ist ein Tausendsassa im Körper, der Knochenaufbau und Immunsystem ebenso beeinflusst wie den Blutdruck und: die Sexualhormone.

Das hat die endokrinologische Wissenschaft belegt: Mehr Vitamin D führt auch zu einem Mehr an Testosteron im Manne. Dadurch werden Männer prinzipiell aktiver - aber nicht nur sie: Auch bei Frauen greift Vitamin D in den weiblichen Zyklus ein. So führt ein ausgeglichener Vitamin-D-Spiegel zum Beispiel dazu, dass Frauen leichter schwanger werden. „Auch für den Menschen beginnt im Frühling die Paarungszeit“, fasst der Psychiater Peter Hofmann zusammen.

Doch nicht nur rein technische Vorgänge werden im Körper durch das Sonnenlicht angeregt - wir reagieren auch emotional darauf: Die Winterdepression hat an länger werdenden Tagen im Normalfall keine Chance mehr, Licht ist ein effektives Antidepressivum, das wach macht und die Produktion des Wohlfühlhormons Serotonin ankurbelt.

Im Biorhythmus

Das beweist: Obwohl wir uns in Bürotürmen einsperren, die Nacht zum Tag machen wollen und uns längst nicht mehr dem Diktat von Licht und Dunkelheit beugen: Unser Körper funktioniert noch immer im Rhythmus, den das zentrale Himmelsgestirn in unseren Organismus eingeschrieben hat.

Wem Frühlingsgefühle nicht reichen, dem sei gesagt: Es gibt noch eine Steigerungsform. Folgt man den biologischen Boten und lässt sich auf die Verliebtheit ein, beschert man sich einen tatsächlichen Rauschzustand. Denn: Verliebtheit funktioniert wie ein Kokainrausch, auch das hat die Wissenschaft entschlüsselt, anhand von Verliebten, deren Gehirne „gescannt“ wurden und die aussahen wie jene von Junkies.
All diese prozesshaften Abläufe im Hintergrund sollen dem Frühling aber nicht den Zauber nehmen.