Heute ist der kürzeste Tag des Jahres. Nur für achteinhalb Stunden ist es hell, bevor sich die Sonne am Nachmittag verabschiedet. Dass es danach "scho glei dumper" wird, wie ein altes Volkslied meint, wird man aber in besiedelten Gebieten kaum bemerken. Denn die dunkelste Zeit des Jahres geht einher mit einem Phänomen der Moderne: mit dem Verlust der Dunkelheit.

Gerade im Advent funkelt, blitzt und leuchtet es hierzulande von Jahr zu Jahr heller. Fünf bis acht Millionen Euro an Stromkosten nehmen die Österreicher für Weihnachtsbeleuchtung in Kauf. Die Glitzerwelt des Konsums hat den Trend vorgegeben, der inszenierte Punschhütten-Tourismus hat ihn dankbar aufgegriffen und die Eigenheimbesitzer wollen nicht nachstehen. Vorgärten, Dachfirste und Fensterbänke sind heute so illuminiert wie viele Besucher am Adventmarkt. Für partielle Dunkelheit sorgt höchstens noch die Zeitschaltuhr.

"Lichtsmog" oder Lichtverschmutzung nennen Forscher die allgemeine Lichtflut, die vor allem in Großstädten die Nacht zum Tage macht. Doch nicht nur Städte sind betroffen. Gemäß dem "Weltatlas der Lichtverschmutzung", erstellt an der Universität Padua, leben 99 Prozent der Menschen in Europa und den USA unter einem "verschmutzten" Nachthimmel. Ein Ende ist nicht abzusehen, und das hat keineswegs nur mit dem "Lichtfest" Weihnachten zu tun. Denn die Blender sind überall, wo um Aufmerksamkeit gebuhlt wird: in der Werbung, bei Unterhaltung und Zerstreuung, im Straßenverkehr.

Licht bedeutet Geborgenheit und wird oft mit Sicherheit gleichgesetzt - eine mitunter fragwürdige Gleichung. So werden Verkehrsampeln und Autoscheinwerfer immer heller, obwohl der vermeintliche Gewinn an Sicherheit durch Gegenblend- und Nachzieheffekte der Umgebung (etwa: beleuchtete Plakatwände) wieder geschluckt wird. Wie in einem Raum, in dem alle immer lauter reden, um hörbar zu bleiben, verlangt auch optische Aufmerksamkeit eine ständige Erhöhung der Reizschwellen. Über unerwünschte Wirkungen informieren die Augenärzte.

Hervorbringungen wie das heute übliche "Tagfahrlicht" wären früher als Verhaltensauffälligkeit gewertet worden. Denn künstliches Licht war, wie der Begriff "Luxus" nahelegt, ein kostbares Gut, mit dem man sparsam umgehen musste. Heute zählen seltene Momente von Dunkelheit und Stille zu den exklusivsten und kostbarsten Qualitäten unseres Lebens in der weltumspannenden Zivilisation. Die EU hat zwar die Glühbirne verboten, Leuchtmittel sind aber die selbstverständliche und allgegenwärtige Basis einer globalisierten Rund-um-die-Uhr-Gesellschaft, in der viele bei eingeschaltetem Mobiltelefon schlafen, um keine "breaking news" aus Fernost zu versäumen.

Sosehr wir das Heimelige des Lichtes ersehnen, so sehr brauchen wir den erholsamen Schlaf im Dunkeln. Das ist spätestens seit den 1980er-Jahren ein Problem, als die Fernsehstationen das pädagogisch wertvolle Institut des Sendeschlusses abschafften. Seither mehren sich stetig die Burn-out-Patienten, die "endlich einmal abschalten" möchten. Kein Wunder: Das Ruhe-Hormon Melatonin - ein Baustein für geruhsamen Schlaf - wird vom Körper nur bei Finsternis gebildet.

Die nächtliche Helligkeit im Raum Wien sei mittlerweile 1570-mal stärker als das natürliche Nachthimmelslicht, haben Astrophysiker der Wiener Universität heuer gemessen. Das lässt sogar den Sternenhimmel verblassen: Waren früher rund 2500 Sterne mit freiem Auge sichtbar, so ist deren Zahl inzwischen auf rund 300 geschrumpft. Damit hadern nicht nur Liebespaare, sondern auch Sternwarten. Das Leopold-Figl-Observatorium auf dem Mitterschöpfl im Wienerwald verfügt zwar über das größte Teleskop des Landes, doch ist dessen Leistung durch Lichtverschmutzung um bis zu 70 Prozent getrübt.

Dass die nächtliche Erde auf Bildern aus dem Weltall wie ein Edelstein glitzert, wird von den einen als Segen und von den anderen als Fluch interpretiert. Wie immer sind der Ressourcenverbrauch und der Grad an menschengemachter Umweltveränderung auch hier ein Indiz für Wirtschaftskraft und Wohlstand. Das Schwert hat also zwei Schneiden.

Im kürzlich neu aufgelegten Buch "Das Ende der Nacht", in dem sich Kulturhistoriker, Philosophen, Schlafforscher und Umweltwissenschaftler mit dem Lichtsmog befassen, wird Licht als Indikator für Produktions- und Konsumverhältnisse begriffen. Einkaufen bis Mitternacht, Zwölf-Stunden-Arbeitstage, die Lange Nacht der Museen und jene der Kirchen - das alles wäre ohne Dauerlicht ebenso wenig denkbar wie Bundesliga-Fußballspiele im Dezember mit Beginnzeit 20.30 Uhr.

Mehr als die Menschen, die sich mit Vorhängen und Schlafbrillen behelfen können, leiden die Tiere. Dass in Deutschland pro Nacht über eine Milliarde Insekten an 6,8 Millionen Straßenlaternen verenden (dort wird so etwas penibel ausgerechnet), könnten wir womöglich verschmerzen. Doch Zugvögel verlieren die Orientierung, Singvögel finden ihre Brutplätze nicht, sogar die Gewässer-Ökosysteme sind beeinträchtigt. Das Land Oberösterreich wirbt deshalb in einer Lichtbroschüre für schonende Lampen ohne Streulicht.

Die andere Seite des (Licht-) Spektrums wird etwa von der Tiroler Firma Bartenbach besetzt, die dringend eine Lichttherapie mittels "weltweit einzigartiger LED-Lichtkabine" empfiehlt. Denn Lichtmangel könne zu depressiven Störungen, Parkinson, Alzheimer und Demenz führen. Und dann erinnern wir uns womöglich nicht mehr daran, wo eigentlich der Lichtschalter ist.