Abwarten, ruhig bleiben, abwarten, ruhig bleiben. Immer wieder denkt sich Annalena diesen Satz zur mittlerweile täglichen Begleitmusik „brüllendes Kind“. Julia ist gerade einmal drei Jahre alt und brüllt aus Leibeskräften, tränenlos, zornig und sie gibt ihr Bestes, um von möglichst vielen Zuhörern wahrgenommen zu werden - scheinbar. Denn in ihrem Wutanfall nimmt sie überhaupt nicht wahr, ob da nun nur die Mama oder noch zehn andere Leute um sie herum sind.

„Die Situationen sind ganz unterschiedlich, manchmal reicht es schon, wenn ich ihr etwas verbiete. Ein anderes Mal passt es ihr nicht, dass sie schlafen gehen soll. Aber sie ist halt schon in der Trotzphase“, versucht sich die 29-jährige Annalena zu trösten und hebt etwas hilflos die Schultern. Julia ist ihr erstes Kind. „Sie brüllt aber nicht nur bei mir, auch beim Papa gibt es das“, fügt Annalena hinzu. Peinlich sei ihr, dass sie oft zu hören bekomme, wie schlecht erzogen ihre Tochter doch sei. „Auch meine Eltern sagen, dass wir einfach nur strenger sein müssten“, sagt Annalena.

Alles ganz normal

„Solche Tobsuchtsanfälle sind zwischen zweieinhalb und fünf, sechs Jahren gesund und völlig normal. Sie gehören zur Entwicklung des Kindes und sind wichtig. Es ist für das Kind ein Zustand maximaler Frustration, mit dem es umgehen lernen muss. Mit schlechter Erziehung hat das nichts zu tun“, sagt Martin Kostial, Standortleiter der Ambulanz und Tagesklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie im LKH Hochsteiermark in Leoben, die zum LKH Graz Süd-West gehört.
Er ist selbst Vater einer fünfjährigen Tochter und vor solcherlei Wutanfällen auch nicht gefeit. „Meine Tochter hatte in einem Geschäft eine Trinkflasche entdeckt, die sie haben wollte, aber nicht bekam“, erzählt Kostial. „Vor den Lippenstiften“, mitten im Geschäft mit vielen Kunden ließ die Kleine, schreiend auf dem Boden sitzend, ihrer Wut freien Lauf. „Ich habe sie brüllen lassen. Nach zehn Minuten war es vorbei, sie kam zu mir, gab mir die Hand, als ob nichts geschehen wäre.“

Abwarten, aushalten und vor allem dem Kind nicht böse sein seien wichtige Reaktionen auf solche Tobsuchtsanfälle, ist Kostial überzeugt. „Es ist, als ob ein Schalter umgelegt wird. Die Kinder empfinden das dann auch so und tragen keinen Schaden davon. Eine Trotzphase ist ein emotionaler Ausnahmezustand“, sagt der Arzt.

Aus der Praxis

Solche Ausnahmezustände kennen Brigitte und Andreas Kühberger nur zu gut. „Wir könnten damit Bücher füllen“, sagt Papa Andreas. Sechs Kinder im Alter zwischen zwei und zwölf Jahren haben der Landwirt und Bürgermeister von Mautern im Liesingtal und seine Frau. „Eine unserer Töchter war oft so zornig, dass sie mit ihrem Kopf bewusst auf eine Steinplatte geschlagen hat. Da haben wir natürlich sofort eingegriffen“, erzählt Mama Brigitte, die auch schon feststellt, dass der zweijährige Alexander langsam in die Trotzphase hineinrutscht. „Bei den ersten beiden Kindern waren wir oft nervös, weil wir einfach noch nicht wussten, wie wir auf das Schreien und Toben reagieren sollten. Bei den anderen vier Kindern waren wir schon viel gelassener, haben uns selbst nicht mehr so einen Druck gemacht“, plaudern die Eltern aus der Schule.
Wobei es an peinlichen Situationen nicht mangelte. „Wir hatten in einem Gasthaus ein Familienessen, eine unserer Töchter wollte die Suppe nicht und hat eine halbe Stunde gebrüllt. Wir haben sie gelassen, weil zureden oder schimpfen nichts genutzt hätte. Wir haben aber auch beide immer klargemacht, warum wir etwas nicht erlaubt haben“, sagt Andreas Kühberger.

Die richtige Reaktion

Auch Kostial ist überzeugt, dass das die richtige Reaktion ist, und er rät, Trotzreaktionen nicht nachzugeben. „Zu hundert Prozent wird es nicht gelingen, aber wenn man beispielsweise acht Mal standhaft war und dem Kind zum Beispiel den Lutscher an der Kasse nicht gekauft hat, dann sollte man es auch beim neunten Mal nicht tun, wenn das Kind nervt und schreit. Tut man es doch, weiß das Kind, aha, durchhalten zahlt sich aus. Was ja grundsätzlich nicht falsch, aber in solchen Situation eben kontraproduktiv ist, denn so verstärkt man die Trotzphase, weil das Kind erreicht hat, was es wollte“, führt der Kinderpsychiater aus.  „Eltern sind nicht für die Trotzphase ihrer Kinder verantwortlich. Schuld zu suchen, ist der falsche Weg. Je ruhiger man selbst bleibt, desto besser ist es. Wichtig ist, dass sich die Eltern einig sind im Umgang mit dem brüllenden Kind. „Es ist ein Lernprozess, für Eltern und Kinder“, so Kostial.