Eine im Vorjahr publizierte Studie deckt auf, dass nur 50 Prozent jener, die wir für unsere Freunde halten, das auch umgekehrt so sehen. Echte Freunde sind eine Rarität. Wie viele davon kann man wirklich haben?

ANDREAS SALCHER: Nach den Recherchen zu meinem Buch über Freundschaft sage ich: Zwei bis drei in jeder Lebensphase, diese können aber wechseln, sind also keine Freunde fürs Leben.

Warum ist es so schwierig, jemanden von der Jugend bis ins hohe Alter als Vertrauten zu behalten?

SALCHER: Die wesentlichen Freundschaften im Leben prägen sich vor allem zwischen dem 18. und 25. Lebensjahr, bevor uns Familiengründung und Job die Zeit rauben. Danach beginnt eine Phase der Freundschaftsvergessenheit, weil wir zwischen 25 und 55 Jahren einfach mit so viel anderem beschäftigt sind.

Zeit ist also das wesentliche Stichwort: Wir kümmern uns nicht genug um unsere Freunde?

SALCHER: Wir geben ihnen in der aktivsten Phase unseres Lebens nicht die Priorität, die sie haben sollten. Dadurch verlieren wir einfach viele - und es fällt uns gar nicht auf. Wir unterschätzen, dass wir in der Reifephase unseres Lebens, die ja 25 bis 30 Jahre dauern kann, nur mehr von den Freunden leben werden, die wir uns bis dahin geschaffen haben, weil wir uns im Alter sehr schwertun, neue tief gehende Freundschaften zu entwickeln.

Andreas Salcher sagt mit 56 Jahren: „Zusätzlich zu meinen drei besten Freunden würde ich das Prädikat ,Freund' heute 23 Mal an einen erweiterten Freundeskreis vergeben.“
Andreas Salcher sagt mit 56 Jahren: „Zusätzlich zu meinen drei besten Freunden würde ich das Prädikat ,Freund' heute 23 Mal an einen erweiterten Freundeskreis vergeben.“ © (c) viennapaint.com

Mitunter enttäuschen uns Freunde aber auch.

SALCHER: Das ist neben dem Zeitmangel auch die häufigste Ursache, weshalb wir im Laufe der Jahre Freunde verlieren: Wie in der Partnerschaft haben wir nämlich auch in der Freundschaft die Illusion, dass uns der andere von unserem innersten Leiden, unseren Verletzungen - nach C. G. Jung von „unserem Schatten“- befreien oder heilen kann. Das führt zwangsläufig zu Enttäuschungen. Und dann ist die Frage: Wie reif sind wir in unserer eigenen Persönlichkeitsentwicklung, dass wir erkennen, dass viele negative Dinge, die wir in unseren Freunden sehen und die uns enttäuschen, von uns selbst in sie hineinprojiziert wurden? Weder ein Freund noch ein Liebespartner kann unsere innersten Persönlichkeitsprobleme lösen - das können wir nur selbst.

Gehen Frauen mit solchen Enttäuschungen tendenziell anders um als Männer?

SALCHER: Bei Frauen sind Freundschaften emotional stärker geladen. Wenn eine Frau feststellt, dass ihre Freundin nicht so für sie da ist, wie sie es sich gewünscht hat, kann das zu einem sehr emotionalen Bruch führen. Bei Männern hingegen gleitet eine Freundschaft eher aus, wenn sie für einen der beiden nicht mehr die nötige Energie hat.

Wie viel Zeit braucht Freundschaft? Wahre Freunde sollten doch auch, wenn sie sich nur selten sehen, immer wieder an Gemeinsamkeiten anknüpfen können?

SALCHER: In engen Freundschaften, in denen eine Seelenverwandtschaft da ist, sollte man wirklich auch nach Jahren sofort wieder dort anschließen können, wo man war.

Und wenn die Seelenverwandtschaft fehlt?

SALCHER: In diesem Kreis nicht so enger Freunde ist eine gewisse Regelmäßigkeit nötig. Freundschaft ist dadurch, dass die Sexualität wegfällt, im Normalfall ja nicht so eng wie eine Liebesbeziehung. Da helfen Rituale. Ich habe mit vielen Leuten darüber gesprochen: Das kann das Laufritual der Freundinnen sein, einmal pro Woche, oder vier Freunde, die alle beruflich sehr erfolgreich sind und sich einmal im Monat mit „open end“ in einem Restaurant treffen. Diese Ritualisierung hat schon einen gewissen Grund, das sehen wir auch in Religionen. Überhaupt ist Qualitätszeit das Entscheidende: Man muss nicht unbedingt fünf Termine in seinen Kalender hineinquetschen, ein Open-end-Termin, bei dem keiner auf die Uhr schaut, ist viel besser.

Was macht einen guten Freund aus?

SALCHER: In den vielen Gesprächen, die ich dazu geführt habe, kommt heraus, was auch die Forschung bestätigt: Loyalität und totales Vertrauen (wenn ich ihm etwas anvertraue, muss es bei ihm bleiben), als Zweites kommt die Seelenverwandtschaft: dieses wortlose Verstehen, so ganz bestimmte Augenblicke, in denen das Gefühl herrscht, dass man einander wirklich versteht. Und als Drittes schließlich das, was auch der Titel meines Buches ist: „Ich bin für dich da“. Wenn es einem wirklich schlecht geht, ist man schließlich oft gar nicht in der Lage, die besten Freunde von sich aus zu kontaktieren, man zieht sich eher zurück. Dann braucht man Freunde, die so viel Gespür für einen haben, dass sie wissen: Jetzt muss ich mich um ihn kümmern. Umgekehrt geht es freilich nicht nur darum, die schlimmen Stunden mit dem Freund zu teilen, sondern auch die schönen Augenblicke: das Lachen, etwas, was beiden Freude macht.