"Bewohner von São Paulo oder Rio wissen vermutlich selbst gar nicht, welche Naturschätze ihr riesiges Land birgt“, vermuten Gäste, die von der einzigartigen Artenvielfalt ein ums andere Mal angezogen werden. Brasilien, das größte Land Südamerikas, gleicht einem gigantischen Biotop, das man mit Fug und Recht als Erbe der Menschheit bezeichnen kann.

Das Amazonasbecken bedeckt 40 Prozent der Fläche und beherbergt die größte Genbank der Welt. Dass Pharmariesen nach den Schätzen schielen, versteht sich von selbst, lässt sich doch der chemische Nachbau gewinnträchtig in aller Welt verscherbeln - die brasilianische Bevölkerung selbst nicht ausgenommen.

2500 Baumarten

Allein 2500 Baumarten und 1000 Arten Farne und Orchideen machen die Faszination des Regenwalds aus, in dem sich Tapir, Ameisenbär und Faultier ein Stelldichein geben. Mit 55.000 Spezies kommt hier ein Viertel aller bekannten Blütenpflanzen vor. Es dürften jedoch noch mehr sein. Kaum eine Forschungsreise endet ohne Entdeckung einer neuen Art.

Hyazinth-Ara
Hyazinth-Ara © aussieanouk - Fotolia

Manche werden leider vernichtet, bevor die Menschheit sie zu Gesicht bekommen und von ihrer Existenz erfahren hat. Niemand weiß, wie viele unbekannte Tier- und Pflanzengattungen aktuell in den Brandrodungen umkommen, in gigantischen Kraftwerksprojekten untergehen oder durch Umweltkatastrophen für immer verschwinden. So sorgten Dammbrüche im Bundesstaat Minas Gerais dafür, dass Abwässer eines Eisenerzbergwerks den 660 Kilometer langen Rio Doce komplett zerstörten.

Zu 95 Prozent zerstört

Jüngster Schauplatz: Der geplante 7,6 Kilometer lange Staudamm São Luiz do Tapajós unter der Beteiligung von Siemens in einem bisher unberührten Seitenarm des Amazonas ist nur der Auftakt zu mehr als 40 (!) solcher Projekte. Das Schwellenland Brasilien opfert in seiner Gier nach Energie bedenkenlos die reich gefüllte biologische Schatzkammer und die indigene Bevölkerung dazu.

Der atlantische Küstenregenwald ist bereits zu rund 95 Prozent zerstört, dass der kümmerliche Restbestand dennoch als biologischer „Hotspot“ unseres Planeten gilt, sagt alles über die immense Artenvielfalt. 17 von den insgesamt 21 hier heimischen Primatenarten leben ausschließlich in diesem bedrohten Biotop, die Mehrzahl davon gilt als äußerst gefährdet.

Im Jahr 2050 könnte das Küstenparadies endgültig vernichtet sein, fürchten Experten. „Früher konnte sich ein Affe vom Atlantik bis zum Pazifik durchhangeln, heute bleibt er besser im Zoo“, urteilen die Autoren eines Brasilien-Reiseführers.

Unter die Räder

Vielerorts ist die ursprüngliche Vegetation nur noch in ein paar wenigen Nationalparks zu finden. Die imposanten Araukarienwälder mit bis zu 40 Meter hohen Stämmen im subtropischen Süden wurden für den Export zerstört. Im Südosten kam die einstige Tier- und Pflanzenwelt für Kaffeeplantagen und Rinderweiden unter die Räder, anderswo wurde die Natur für Zuckerrohr und Soja geopfert - allesamt Exportwaren. Vor der unheiligen Allianz von Regierung, Großgrundbesitzern und multinationalen Konzernen und ihrem gnadenlosen Vorgehen ist niemand sicher.

Der Riesenotter
Der Riesenotter © aussieanouk - Fotolia

Trotzdem, wohin man schaut im Land, ist es noch immer voll von Superlativen: Eines der größten Feuchtgebiete der Welt, das Pantanal (portugiesisch für Sumpf) im mittleren Südwesten Brasiliens, ist sieben Monate überschwemmt und stellt für Pflanzen eine große Herausforderung dar. Aber auch ein immer wiederkehrendes Wunder der Natur: Die Gewächse wappnen sich durch spezielle Techniken gegen das Austrocknen ebenso wie gegen die Fäulnis durch Feuchtigkeit.

Reich des Jaguars

Kapuzineraffen kreischen, die prächtigen Aras, Wappenvögel des Landes, ziehen ihre Runden, Wasserschweine grasen friedlich, Falter gaukeln durch die schwülen Lüfte und der Kolibri, der Winzling unter den Vögeln, vollführt Kunstflüge in Olympiareife - im Reich des Jaguars, der größten Katze von Südamerika, vereinen sich die großen und kleinen Überlebenskünstler. In der Natur können sie sich behaupten, nur gegen den Menschen sind sie machtlos.