Noch dösen sie etwas verschlafen in der Wintersonne, doch bald wird auf den Péniches, den Hausbooten am Quai de la Marine in Auxerre, wieder buntes Treiben herrschen. Wenn Gäste und Einheimische mit Blick auf den Fluss Yonne köstliche, von Petersilienbutter umhüllte Weinbergschnecken, die hier Burgunderschnecken heißen, verspeisen. Am besten zu einem Gläschen Chablis, der eigentlich ein Chardonnay ist und aus dem berühmten Weinbaugebiet Chablis stammt. Das Winzerstädtchen im Tal des Serein, was so viel heißt wie „heiter“, ist nur zehn Autominuten von Auxerre entfernt.

Auxerre, das „Osser“ mit Betonung auf e und ohne x ausgesprochen wird, inszeniert sich charmant am linken Yonne-Ufer. Von der „Passerelle“, einer filigranen Belle-Époque-Brücke, aus bietet sich dem Betrachter ein Ausblick, der einer der schönsten Europas sein soll. Die im Halbrund zum Fluss angelegte Altstadt besticht durch mittelalterliche Fachwerkhäuser, die gotische Kathedrale St-Étienne, die bedeutendste Burgunds, die Abbaye de St-Germain mit den karolingischen Krypten in der Unterkirche und dem berühmten Tour de l’Horloge, dem prachtvollen Stadttor mit schiefergedecktem Turm und einer Uhr, die den Stand von Sonne und Mond anzeigt.

Auxerre, 1995 zur „Stadt der Kunst und Geschichte“ gekürt, hat viele entzückende kleine Geschäfte, Frucht einer Politik, die sich der Wiederbelebung der Altstadt verschrieben und sogar einen „Direktor des urbanen Dynamismus“ bestellt hat.

Die Stadt ist auch idealer Ausgangspunkt für Radreisen, die „France à vélo“ der Stuttgarterin Christine Traguet für Einzelne und Gruppen inklusive Kultur, Weinproben und Picknick in den Weinbergen anbietet. Geradelt wird auch mit dem E-Bike. Man nächtigt auf Winzerdomänen oder als Familie mit Kindern im Zirkuswagen oder im Baumhaus, wo das Frühstück per Seil hochgezogen wird. Attraktionen für Kinder wie Klettergarten oder Kajaktour sind eingebaut. Auch ohne Radwege kann man im Burgund ruhig dahinradeln, bei nur 53 Einwohnern pro Quadratkilometer ist genug Platz.

Am Familienweingut Pier Louis Persan, das seit 1500 nun schon in 21. Generation geführt wird, erfährt man, dass für Franzosen Flaschen mit Schraubverschluss oder Glaskorken unvorstellbar sind. Der Keller, der während der Kriege des Herzogtums Burgund gegen das Königreich Frankreich im 15. Jahrhundert als Versteck diente, hat eine konstante Temperatur von 13 Grad und über 80 Prozent Feuchtigkeit. Genau das braucht der Korken.

Verkosten sollte man die autochthone Sorte Aligouté, den im Holzfass gelagerten Likörwein Ratafia und den Marc de Bourgogne, einen Grappa mit 17 Prozent Alkohol, der auch als Aperitif mit Saft gemixt wird.
Von Auxerre aus lohnt sich ein Ausflug nach Vézelay, dem malerischen, romantischen Künstlerdörfchen mit steinernen Häusern, schmucken Geschäften und kleinen Cafés. Verträumt ist die Stimmung am Morgen, wenn die Sonne über die Hügel steigt und die verschlafenen Häuser in goldenes Licht taucht.

Wunderschöne Lichtspiele sind auch in der der heiligen Maria Magdalena geweihten Basilika Ste-Madeleine aus dem 9. Jahrhundert zu sehen. Sie ist eines der bedeutendsten Zeugnisse des christlichen Abendlandes und zieht eine Million Besucher pro Jahr an. Sechs Brüder und sechs Schwestern der Monastischen Gemeinschaft zu Jerusalem leben in der Abtei, in der 1166 der exkommunizierte Erzbischof von Canterbury, Thomas Becket, Exil fand und wo Richard Löwenherz und König Philipp August von Frankreich den dritten Kreuzzug ausriefen. In der Krypta liegt eine Reliquie der in Südfrankreich verstorbenen Maria Magdalena, eine Rippe.

In Vézelay haben viele Prominente Spuren hinterlassen: die unkonventionelle Schriftstellerin und Varietékünstlerin Colette, die als erste Frau ein Staatsbegräbnis erhielt, und der Literaturnobelpreisträger Romain Rolland, der 1944 in Vézelay verstarb. Seither hat das burgundische Juwel nichts von seiner Faszination verloren.