Am Nachmittag des 22. September 2004 flatterte uns ziemlich unerwartet die trockene Meldung auf den Tisch: Eine gewisse Veronica Kaup-Hasler werde ab 2006 Intendantin des steirischen herbsts, hieß es. Dazu gab es eine eher dürre Biografie der 38-Jährigen. Foto? Fehlanzeige!


Veronica Kaup-Hasler war zu diesem Zeitpunkt bereits wieder im Zug von Graz nach Wien, mit ihrem Säugling Valentin in den Armen. Gottlob war das Handy schon erfunden, und so gelang es uns doch noch, Kontakt mit der frisch Gekürten aufzunehmen. Und in unserem ersten Interview sagte sie den programmatischen Satz: „Für mich jedenfalls muss Kunst mit allen Körperregionen erfahrbar sein, das kann ruhig mit dem Kopf beginnen.“

"Am Anfang war das Tohuwabohu"


Und zwei Jahre später, bei der Eröffnung ihres ersten selbst gestalteten Festivals in Graz, fiel da noch so ein Satz, er stammt von dem französischen Philosophen Michel Serres, aber die Intendantin zitierte ihn: „Am Anfang war das Tohuwabohu.“


Beide Zitate sind geeignet, als Kurzchiffre für das Wirken Kaup-Haslers in ihren elf Jahren in Graz zu stehen. Die humorvolle Frau mit viel Schalk in den Augen hat das Festival mit bemerkenswerter Ruhe und Konsequenz dort hingeführt, wo es heute zwangsläufig hingehört: Weg von den teuren Großproduktionen, die auf dem Bühnensektor ohnedies großteils floppten, hin zu einer eher kleinräumigen, aber enorm vielfältigen Programmstruktur. Damit hat sie für den herbst ein sehr junges Publikum gewonnen.

Im Seniorenheim der greisen Avantgarde


Dabei rumorte es im Seniorenheim der greisen Avantgarde ein wenig, und manch Grazer Bildungsbürger fühlte sich um die wohligen Schauer des allherbstlichen Skandals geprellt. Doch Intendantin Kaup-Hasler setzte unverzagt auf kleine und mittlere internationale Produktionen und auch regionale Grassroots-Kultur. Ihrer Vielzahl wegen waren naturgemäß auch ein paar Enttäuschungen dabei.
Bei ihrem Einstieg war der steirische herbst dank etwas zu kühner Kalkulation in Sachen List-Halle finanziell waidwund. Gerade drei Millionen Euro Budget gab es, die durchaus vergleichbaren Wiener Festwochen hatten damals schon zwölf. Mittlerweile hält der herbst bei 4,7 Millionen, die Festwochen hatten heuer 13.


Der zweite rote Faden, der sich durch die Ära Kaup-Hasler zieht, ist die soziokulturelle Relevanz vieler ihrer Projekte. Stellvertretend seien hier Hannah Hurtzigs grandiose Wissenstransferbörse „Schwarzmarkt“, das köstliche „Casino Of Tricks“ und Signas „Komplex-Nord-Methode“ genannt. Und auch das heurige Jelinek-Großprojekt „Die Kinder der Toten“ kann hier wohl dazugerechnet werden.
50 Jahre nach seiner Erfindung hat der steirische herbst längst seine einst europaweite Alleinstellung verloren. Festivals mit zeitgenössischer und avantgardistischer Kunst (gibt’s die noch?) finden sich allerorten. Der Skandal, verlässlicher Begleiter bis in die frühen 80er-Jahre, ist musealisiert. Tabus sind vom Aussterben bedroht und nur noch dort zu finden, wo auch die radikalste Kunst nicht hinwill.


Das alles hat Veronica Kaup-Hasler von Beginn an begriffen und dem herbst ein Ende als grotesk alternde Festival-Diva erspart. Dafür darf ihr Name hell leuchtend in der Chronik der ersten 50 Jahre steirischer herbst stehen.