Es ist, als blicke man in eine Landschaft voller Furchen, erlebter Höhepunkte und erfahrener Abgründe. Es ist ein Gesicht mit dicker Hornbrille auf einem lebensgroßen Körper im Rollstuhl. Ein Gesicht, das man nicht so schnell vergisst. Es ist ein misanthropisches Klappmaul.

Das Gesicht dieses alten Mannes auf der Puppe von Nikolaus Habjan, es erinnert an Karl Böhm. Den Böhm. Einen der berühmtesten Söhne von Graz - und gleichzeitig einen der widersprüchlichsten. Als Dirigent begnadet, unbeugsam, akribisch. Aber als Mensch maximal biegsam. Er war ein Profiteur des Dritten Reiches, der sich mit Nazideutschland arrangierte und mithilfe Adolf Hitlers Karriere machte. Und einer, der sich stets elegant aus der Verantwortung zog. Ein Angehöriger der Spezies Mitläufer.

Im offiziellen Graz werden, zumindest auf der Homepage der Stadt, diese braunen Berührungspunkte in seiner Biografie und sein Name auf der Liste der "Gottbegnadeten" unter Hitler und Goebbels noch immer verschwiegen. Im Gegensatz zu den Salzburger Festspielen, wo, 2016, der Karl-Böhm-Saal um eine Tafel erweitert wurde. Dort ist zu lesen, dass  Böhm "ein großer Künstler, aber politisch fatal Irrender" gewesen sei. Mehr noch: "Sein Aufstieg wurde durch die Vertreibung jüdischer und politisch misslieber Kollegen begünstigt."

Nun erinnern sich Regisseur, Puppenspieler, Kunstpfeifer Nikolaus Habjan (Regie, Puppenspiel, Schauspiel) und der Psychiater und Autor Paulus Hochgatterer (Text) im Stück mit dem knappen Titel "Böhm" an den Menschen hinter dem Maestro. Ein wichtiges Stück. In kritischer Haltung zur Gegenwart, aber keineswegs respektlos nähern sie sich dem Menschen Böhm. In einem 100-minütigen Kraftakt stemmt Habjan den äußert kurzweiligen Abend mit insgesamt elf Puppen - nämlich Stab-, Hand- und den Klappmaulpuppen im Alleingang.

Das Bühnenbild erinnert an ein aus der Zeit gefallenes Wohnzimmer, arrangiert als Dirigierpult, auf dem wiederum noch ein Dirigierpult aufgebaut ist. Die Musikwelt eingebettet in die große weite Welt. Zu hören sind Tonbandaufnahmen, dirigiert von Böhm, dazu werden alte Fotos auf die Bühne projiziert und Figuren wie Christa Ludwig oder Elisabeth Schwarzkopf erzählen als Tischpuppen von ihren Begegnungen mit Böhm. Es ist eine Reise 80 Jahre zurück in die dunkle Vergangenheit.

Präzise Sprache

Am eindringlichsten aber ist die präzise Sprache, in der Hochgatterer eine typisch österreichische oder deutsche Geschichte des Mitläufertums stellvertretend für viele erzählt und die akribische Perfektion, mit der Habjan diese Sätze, einmal näselnd Wienerisch, einmal sanft Steirisch in leichtfüßigen, teilweise opernerdigen Dialogen mit viel trockenem Humor auf das Publikum loslässt.

"Tun Sie nicht so! Zuerst das Deutschlandlied, dann die Fahne hoch, die Reihen dicht geschlossen. Das ist die neue Manier. Der Haydn dreht sich im Grab um, aber das nützt ihm nichts", sagt eine der drei Böhm-Figuren einmal.

Ein wichtiges Stück im Gedenkjahr des "Anschlusses". Während man aber beim Gerichtsthriller "Murer" von Christian Frosch angesichts von Verdrängen und systematischer Täter-Opfer-Umkehr mit beklemmendem Gefühl den Kinosaal verlässt, fühlt man sich beim "Böhm"-Abend im Schauspielhaus bei diesem Thema erstaunlich gut unterhalten.

Ob das nun von Nach- oder Vorteil ist, darüber wird noch nachzudenken sein. Auf jeden Fall: viel Beifall für einen herausragenden Habjan und für den Mut des Schauspielhauses, sich diesem Fall hier in Graz zu widmen.