"Wir sehen uns in 25 Jahren wieder“, sagt Mordopfer Laura Palmer dem Zuschauer gegen Ende der zweiten Staffel. Gut Ding braucht eben Weile, mittlerweile sind es 27 Jahre geworden, aber der Kult, der rund um die Serie betrieben wird, ist unverändert.
Wir schreiben das Jahr 1989. Zu dieser Zeit gehen zwei Serien in Produktion, die unterschiedlicher nicht sein können. „Baywatch“: Sommer, Sonne, Strand und eingeölte Körper. „Twin Peaks“: Nebel, Wälder, Holzfällerhemden und eine in Plastik gewickelte Frauenleiche – es ist Laura Palmer, die makellose Musterschülerin ohne Fehl und Tadel. Zumindest auf den ersten Blick.

Es beginnt wie ein recht unspektakulärer Krimi, aber bald schon gewähren die Serienmacher David Lynch und Mark Frost Einblicke in die Abgründe einer Kleinstadt. Und fortan soll im Serienuniversum nichts mehr so sein, wie es war. Geschickt zimmert das Duo ein Haus mit zahlreichen doppelten Böden. Nicht umsonst ist der rote Faden der Serie: „Nichts ist so, wie es scheint.“ Oben Kleinstadtidyll mit Familiendrama. Dazwischen Sex, Drugs and Rock ’n’ Roll umgeben von gefühlt zehn Milliarden Douglas-Tannen. Und darunter lauert die ganze Freud’sche Gefühlspalette, wo das Ich, das Über-Ich und das Es in immer wandelnden Konstellationen zu schräger Musik tanzen. Der Zuschauer wird wie in einem Spiegelkabinett immer wieder aufs Neue in die Irre geführt. Spätestens nach der dritten Folge hat man die zentrale Frage „Wer hat Laura Palmer ermordet?“ längst aus den Augen verloren.
Vielleicht auch deshalb, weil die Anzahl an starken und widersprüchlichen Charakteren so viele Nebenschauplätze generiert und man den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht.

Die Eintrittskarte in dieses Wunderland ist die Lust auf das Andere. Eine Frau mit einem Holzscheit im Arm, das den Mörder kennt. Eine Transgender-FBI-Ermittlerin. Polizisten, die am Tatort weinen. Und ein Hauptermittler, der zu Beginn der Ermittlungen versucht, mit einem tibetischen Steinwurfritual den Mörder von Laura Palmer zu finden. Titel der Folge „Zen oder die Kunst, einen Mörder zu fassen“.
Wer mit Übersinnlichem und Mythologie nichts am Hut ab, für den wird „Twin Peaks“ der Horrortrip. Für andere einfach unheimlich spannend. Denn Mittelmäßigkeit macht einen in Lynchs Universum schnell verdächtig. „Es macht mir Spaß, im Unterbewusstsein der Leute zu forschen, in diese unendliche Zone einzutauchen, die sich hinter der Fassade ihrer Gesichter befindet, und mich zu fragen, was wohl in ihrem Kopf vorgeht, woran sie denken. Ich finde das faszinierend“, gibt David Lynch Einblicke in seine Herangehensweise. Im Serienuniversum haben er und Mark Frost die ersten Kornkreise im Getreidefeld des für gewöhnlich langweiligen TV-Alltags gezogen. Serien wie „Akte X“ nahmen sich eindeutig ein Beispiel. Aber nicht nur in bekannten Mysteryserien steckt ein Körnchen „Twin Peaks“.

Regisseur David Lynch
Regisseur David Lynch © APA


Von „24“ bis „Lost“, viele TV-Formate gingen bei Lynch in die Lehre und haben längst ihren Meisterbrief abgelegt. Womit Lynch und Frost nun konfrontiert sind, ist eine völlig andere TV-Welt als noch vor 27 Jahren. „Viele sagen, wenn sie auf ‚Twin Peaks‘ zurückblicken, dass das die Explosion des hochwertigen Fernsehdramas ausgelöst hat, aber damals gab es nur die drei großen Networks. Die Herausforderung für uns ist, jetzt zurückzukommen und genau wie damals einmal mehr die Latte höher zu legen“, so Drehbuchautor Mark Frost über die Tücken der Fortsetzung.

Allein die Tatsache, dass Chefermittler Dale B. Cooper seine Erlebnisse des Tages mit einer herrlichen Ernsthaftigkeit in ein Diktiergerät für seine Assistentin sprach: „Konsumierte heute 15 Donuts, Diane. Alle mit Marmeladenfüllung. Werde mir in vier Minuten Insulin spritzen.“ Unglaublich, aber wahr, „Twin Peaks“ entstand in einer Zeit, als das Internet noch eine Art Geheimwissenschaft war. Erst recht wirkt die Serie heute, als wäre sie aus der Zeit gefallen. Jede Szene wird wirklich auserzählt, schnelle Schnitte sucht man vergebens. Breiter Raum für Details und Schwachsinn aller Art. Längst ist der TV-Zuschauer dank Netflix & Co. ein Serienprofi geworden. Wer 24 Stunden täglich streamen kann, wird wählerisch. Vor allem im Hauptfach von Lynch und Frost hat in den letzten Jahren eine enorme Weiterentwicklung stattgefunden. Mit „The OA“ und „Stranger Things“ gingen erst vor Kurzem wieder zwei erstklassige Mysteryserien online.

Wieder mit dabei: Mädchen Amick und Peggy Lipton
Wieder mit dabei: Mädchen Amick und Peggy Lipton © Rancho Rosa Partnership/AP

Dieser Konkurrenz müssen sich nun die Bewohner von Twin Peaks stellen. Bislang haben die Douglas-Tannen die Mauer gemacht. So viel steht fest: Altmeister David Lynch hat bei allen 18 Episoden höchstpersönlich Regie geführt. Neben alten Bekannten gibt es auch einige Neuzugänge aus Hollywood. Darunter Monica Bellucci, Naomi Watts oder Amanda Seyfried. Auch Angelo Badalamenti, der schon für den nicht weniger kultigen Soundtrack der ersten beiden Staffeln verantwortlich war, ist wieder mit dabei. So wie drei weitere wichtige Ingredienzien: Dale B. Cooper, Kirschkuchen und die Gewissheit, dass das Grauen selten im tiefen Wald, sondern meist nebenan lauert.