Es waren nicht die kruden Sex- und Gewaltfantasien vom Album „JBG3“, die den Skandal provoziert haben. Farid Bang und Kollegah setzten mit einem Auschwitz-Vergleich ihrer Obszönitätensammlung noch eines drauf und sorgten damit unlängst unfreiwillig fürs Ende des Echo-Preises. Mittlerweile ermittelt auch die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft wegen Volksverhetzung gegen die beiden. Die Rapper argumentieren ihre verbalen Granaten mit künstlerischer Freiheit.

Nun, es wäre die Freiheit einer Kunst, die tatsächlich nie zimperlich war. „Nigger“, „Bitch“, „Motherfucker“. Rap-Texte sind oft gewaltverherrlichend, frauen- und schwulenfeindlich, voller Aggression gegen die Autoritäten. Dieser provokante Tonfall ist in der DNS des Hip-Hops, der Musik des Raps, verankert: Während der Siebziger war New York keine auf Hochglanz polierte Metropole, sondern von heruntergekommenen Straßenzügen durchwuchert. Genau dort stand die Wiege des Hip-Hops als Ausdrucksform von Jugendlichen ohne Zukunft.

Rap wurde zur Chronik des Lebens am unteren Rand der Gesellschaft. „Überall zerbrochenes Glas, Leute pissen einfach auf die Stiege. Ich halte den Geruch und den Lärm nicht mehr aus, ich habe kein Geld, um wegzuziehen. Ich schätze, ich habe einfach keine Wahl“, rappt Melle Mel 1983 auf Grandmaster Flashs „The Message“, dem ersten Welthit des Genres mit explizit sozialer Botschaft. Es war ein Schrei der Ohnmacht. Worte, die auch uns, diesseits des Atlantiks, mit voller Wucht trafen: Die Realität hielt wieder einmal glorreichen Einzug in die oberflächlich-bunte Popwelt. Rap diente der Selbstermächtigung der Macht-, aber nicht Sprachlosen. Man kehrte die Beleidigung „Nigger“ ins Positive, um den Rassisten ihr Vokabular wegzunehmen, man thematisierte Verbrechen, desolate soziale Verhältnisse und Unterdrückung.

Angetrieben von der unglaublichen Fähigkeit der afroamerikanischen Kultur zu Innovation, meldeten sich Reim-Akrobaten, Afro-Philosophen und Sozialkritiker wie De La Soul und Public Enemy zu Wort. Zugleich entstand an der US-Westküste der knüppelharte Gangsta-Rap von Gruppen wie N. W. A., bei der die späteren Superstars Dr. Dre und Ice Cube bereits am Image des vom Getto abgehärteten Mannes werkten. Wobei dessen Rücksichtslosigkeit als Notwehr gegen Unterdrückung und Rassismus gemeint war. Die „Parental Advisory“-Sticker, die vor der derben Sprache warnen sollten, prangten auf jeder Rap-Platte. Und machte uns Hörer stets auch neugierig.

Doch Rap wurde zusehends kommerzieller, plumper, witzloser. Eine Krise, die man allmählich überwand. Rapper knüpften an die kreativen Wurzeln des Hip-Hops an. ReimKünstler mit sozialem und literarischem Gespür. Jay-Z, Tyler the Creator, Mos Def, Drake, Vince Staples, Chance the Rapper, Future und Kendrick Lamar haben Hip-Hop als spannendste Popmusik der Gegenwart etabliert, die ein grimmiges, düsteres Bild amerikanischer Gegenwart zeichnet. Die Jury des Pulitzerpreises sprach angesichts von Kendrick Lamars epochalem Album „Damn“ von einer „virtuosen Sammlung“, die „ergreifend“ die Lebensrealität von Afroamerikanern porträtiere.

Vor diesem Hintergrund ist es auf den ersten Blick irritierend, dass Mega-Rapper Kanye West jüngst Sympathien für Donald Trump entwickelte – doch wirklich überraschend ist es nicht. Hier haben sich zwei Egomanen gefunden, denen auch die Lust an der Provokation und der Hass auf Konventionen gemein ist. Vermeintliche Supermänner unter sich. In Deutschland treibt der Gangsta-Rap noch immer Blüten. Bei den Billigsdorfer-Reimen von Kollegah und Farid Bang sind Lust an der Provokation und Marketingkalkül kaum unterscheidbar. Der Satz „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen“ ist inakzeptabel, obwohl hinter der unsäglichen Herabwürdigung von Opfern wohl kein Antisemitismus, sondern die drastische Überhöhung von genretypischen Stilmitteln steht.

Rap transportiert bei Kollegah und Kollegen keine Auseinandersetzung mit der Welt, sondern dümmliche Machoposen. Das mag man so lange als überdrehte Realsatire gerade noch erträglich finden, bis Worte wie „Auschwitz“ und „Holocaust“ fallen. Worte, die niemals trivialisiert oder ironisiert werden dürfen. Wenn Rap von der Sprache der Entrechteten zum zynischen Instrument herabsinkt, dann verliert er seine Legitimation.