Die Wichtigkeit eines Künstlers für seine Plattenfirma lässt sich in aller Regel gut an der Anzahl der Menschen festmachen, die während eines Interviewtermins zusätzlich mit im Raum sind. Im Falle von Sam Smith, den wir im Londoner „Soho Hotel“ treffen, um mit ihm über sein zweites Album „The Thrill Of It All“ zu sprechen, sind dies: Drei Betreuungsperson sowie eine dreiköpfige Filmcrew, das Gespräch wird nämlich gar mit zwei Kameras festgehalten, obschon es nun wahrlich nicht fürs Fernsehen gedacht ist. Will sagen: Wer sich noch fragte, ob Sam Smith schon einer der ganz großen, in der Liga von Adele, Ed Sheeran oder Taylor Swift agierenden Popstars ist, der weiß spätestens angesichts dieses Gewimmels: Jawoll, ist er.

Kaum überraschend also, dass der immer noch erst 25 Jahre Londoner vorübergehend den Boden unter den Füßen verlor, denn was diesem jungen Mann mit dem Allerweltsnamen und der wundervollen, weichen Soulstimme vor drei, vier Jahren widerfahren ist, das geschieht höchst selten. Vom Nachwuchstalent, das in Bars sang und vergeblich von einem Plattenvertrag träumte über Gastsängerengagements bei Disclosure („Latch“) und Naughty Boy („La La La“) avancierte Sam zum heißesten neuen Talent der britischen Musikszene, und das in wenigen Monaten? Als Anfang 2014 sein Debütalbum „In The Lonely Hour“ erscheint, wird es sofort zum Erfolg, die traurige Liebeskummerhymne „Stay With Me“ wurde zum Welthit. Sam Smith gewann für seine Musik im Jahr darauf vier Grammys und zahllose weitere Auszeichnungen, Ende 2015 sang er „The Writing’s On The Wall“, den James-Bond-Song für den Film „Spectre“, für den er zusammen mit seinem Produzenten und Schreibpartner Jimmy Napes sogar den Oscar erhielt.

Auf seinem zweiten Album „The Thrill Of It All“ erfindet sich Smith nicht neu, sein Mix aus Pop, Soul und Gospel bleibt emotional nachvollziehbar und geht auch diesmal wieder ins Ohr. Ab und zu, in „Baby You Make Me Crazy“ ganz besonders, nimmt er auch mal Fahrt auf, meist bewegt sich die Platte aber zielsicher auf balladeskem Gebiet.

Sam, dein erstes Album „In The Lonely Hour“ drehte sich um eine unerwiderte Liebe, auf „The Thrill Of It All“ beschäftigst Du dich mit einer unglücklichen Beziehung. Das ist doch schon mal ein Fortschritt.

SAM SMITH: Na, wenn Du das so sehen willst (lacht).

Wie lange hat die jüngste Liebe gehalten?

SAM SMITH: Eine Minute? Nein, ein bisschen länger war es schon. Etwa ein halbes Jahr. Wir waren zusammen, aber seine Gefühle waren nicht stark genug. Er war ein wunderbarer Mann. Ich kann ihm nichts Böses hinterherrufen.

Warum war es nicht von Dauer?

SAM SMITH: Wenn ich das nur wüsste. Ich bin noch nie nah dran gewesen, mich zu verlieben und dann zu erleben, wie diese Liebe gegenseitig wächst und stabil ist und schön bleibt. Sicher gab es wunderbare Momente, aber am Ende war ich doch vor allem sehr traurig und enttäuscht.

Hoffst Du trotzdem weiter auf die große Liebe?

SAM SMITH: Oh Gott, so sehr, ja. Unbedingt. Ich bin ein extremer Romantiker. Ich will mich verlieben und geliebt werden wie im Hollywoodfilm. Ich will, dass es kitschig wird. Warum soll mir das nicht auch mal passieren? Wer weiß, vielleicht schreibe ich dann sogar glückliche Songs.

Kann man sich gar nicht vorstellen.

SAM SMITH: (lacht): Okay, stimmt. Ich mir auch nicht. Ich weiß, dass ich im normalen Leben glücklicher bin als in meinen Songs, und das ist auch gut so. Sonst hielte ich das nicht aus. Den traurigen Sam bewahre ich mir fürs Songschreiben auf. Meine fröhliche und unbeschwerte Seite kommt eher in meinem Privatleben zum Ausdruck. Die Musik ist ja nur ein kleiner Teil von mir.

Passen traurige Songs besonders gut zu deiner Stimme?

SAM SMITH: Ja, das ist mein Eindruck. Ich kann mich am besten mittels Melancholie ausdrücken. Glückliche Songs funktionieren bei mir nicht so richtig. Ich habe es wirklich versucht. „One Last Song“ oder „Baby You Make Me Crazy“ klingen zwar recht beschwingt. Aber die Texte kommen von einem dunklen Ort.

Ist ein verkorkstes, unerfülltes Liebesleben der Preis, den Du bereit bist, für deine Musik zu bezahlen?

SAM SMITH: Tja. Ich fürchte, ich habe keine andere Wahl. Dieses sind die Karten, die mir das Leben nun einmal ausgeteilt hat. Nicht alle Songs auf dem Album sind über mich, aber Musik zu schreiben und zu singen, das ist meine Form der Therapie. Die Dinge liegen dann nicht mehr ganz so schwer auf meiner Brust. Ich liebe es, tief und ehrlich über mein Leben zu sprechen – in meinen Liedern.

Hattest Du nach dem Wirbel und dem Erfolg deines Debütalbums eigentlich ein bisschen Ruhe, um dich wieder zu sammeln?

SAM SMITH: Ja, ich war wieder in London und habe viel Zeit mit meiner Familie und mit guten Freunden verbracht. Ich bin einfach zurückgekehrt zu einem normalen Leben. Ich musste ja auch den Kopf wieder klar kriegen, damit ich die Geschichten aufschreiben kann, die mir passieren. Ich wollte identifizierbar und nahbar sein, und das bist du nur, wenn sich auch anderen Menschen mit deinem Leben und deinen Erlebnissen identifizieren wollen. Abgehoben zu sein ist Mist fürs Songschreiben.

Warst Du abgehoben?

SAM SMITH: Mein Leben ist nicht mehr so das Leben anderer Menschen. Es war auf beiden Seiten eine gewisse Entfremdung zu spüren. Ich lebte ein totales Hochgeschwindigkeitsleben, ich wusste nicht mehr, wo ich war und was ich tat. Ich musste wieder bei meiner Mum sein, bei meinen Schwestern und bei meinem Papa.

Hat sich das Verhältnis zu deiner Familie gewandelt?

SAM SMITH: Ja. Sogar sehr. Wir stehen uns näher als früher. Ruhm und dieses ganze Zeug kann ja beides bewirken – Entfremdung oder Zusammenrücken. Wir haben ein tolles, enges Gefühl.

Ist es cool für dich, berühmt zu sein?

SAM SMITH: Oh je, nein. Es ist eine Anstrengung. Man verkrampft schnell, wird unsicher und fragt sich, was man will. Wenn Menschen Promis sehen, dann denken sie ja meistens, bei denen läuft alles optimal. Aber es ist nicht wie im Märchen. Vieles macht Spaß und ist toll, auf der anderen Seite bekommst du mit dem Ruhm vieles mitgeliefert, das du nicht bestellt hast.

Hat sich dein Leben verändert?

SAM SMITH: Schon. Ich lebe jetzt in einem wundervollen Haus in Hampstead, zusammen mit meiner Schwester und meinem besten Freund. Ich habe viel Geld, sehe schöne Orte und reise viel. Aber ganz tief drin bin ich derselbe Sam geblieben.

Was machst Du mit dem Geld?

SAM SMITH: Ich esse (lacht).

Aber so, wie es scheint, weniger. Du siehst um einiges schlanker aus als früher.

SAM SMITH: Ich mampfe immer noch zu viel, insbesondere Käse, das ist mein großer Schwachpunkt. Aber ich esse gesünder und besser. Als ich auf Tournee war vor zwei, drei Jahren, wurde ich dicklich, es war ätzend. Man ist unterwegs und schaufelt aus Bequemlichkeit irgendwelchen Mist in sich rein. Oder weil man sich durch Essen besser fühlen will, man vielleicht einsam ist. Irgendwann gefiel ich mir nicht mehr, ich wollte gesünder werden, geistig wie körperlich. Ins Fitnessstudio gehe ich jetzt auch, drei Mal pro Woche.

Wie wirst Du künftig dein Wohlbefinden auf Tour pflegen?

SAM SMITH: Ich will „Game Of Thrones“ gucken. Alle sieben Staffeln. Ich habe das noch nie gesehen, mein Plan ist: Eine Episode nach jeder Show.

Dich erwarten Gewalt und Sex.

SAM SMITH: Ich liebe Filme mit Gewalt und Sex!

Kann es sein, dass „Burning“ der persönlichste Song auf „The Thrill Of It All“ ist? Du singst da sogar über deinen Geburtstag, den 19. Mai.

SAM SMITH: „Burning“ ist der persönlichste Song, den ich überhaupt je in meinem Leben geschrieben habe. Der Song handelt von Selbstzerstörung. Als meine letzte Liebesbeziehung zerbrach, verlor ich ein Stück weit den Respekt vor mir selbst. Ich war durcheinander, ging zu viel aus, trank zu viel Alkohol. Ich passte nicht mehr richtig auf mich auf. Ich konnte mich in der Phase selbst nicht mehr ausstehen. Dazu kam noch die Belastung durch den Ruhm und die Verantwortung, die mir dadurch auferlegt war. Ist alles ein bisschen zu viel gewesen. Ich fing an zu brennen, nicht auf eine gute Weise, alles prasselte auf mich ein und drohte mich zu begraben. Über das fiese Gefühl der Hilflosigkeit schrieb ich diesen Song.

Du musstest Dich zu allem Überfluss auch noch an den Stimmbändern operieren lassen. Hat sich deine Stimme seit „In The Lonely Hour“ verändert? Ist sie noch butterweicher geworden?

SAM SMITH: Ich hoffe nicht! Meine Stimme war in der Tat sehr sauber, weil ich drei Wochen nicht sprechen, geschweige denn singen durfte, was sie irgendwie sehr klar gemacht hat. Aber dann bin ich losgezogen und habe gesoffen und gefeiert, und jetzt sie wieder rauer, was ich mag. Einen Vorteil hatten meine Exzesse also wenigstens.

Geht es dir alles in allem wieder besser?

SAM SMITH: Sehr. Als ich in der Krise war, habe ich mich sogar gefragt, warum ich überhaupt Musik mache und für wen. Ich kam dann drauf: Für mich! So habe ich mich wieder innig und heftig ins Musikmachen verliebt. Wäre das nicht geschehen, säße ich jetzt nicht hier.

Glaubt man dem Text zu deiner Single „Too Good At Goodbyes“ dann wirst Du überdies langsam besser in Beziehungs- und vor allem in Trennungsfragen.

SAM SMITH: Naja, ich dachte, dass ich besser geworden wäre. Den Song schrieb ich wenige Wochen bevor es mit uns auseinanderging, ich war wohl etwas prophetisch. Ich glaubte, ich hätte ein dickes Fell. Dann merkte ich jedoch: Nein, habe ich nicht. Ich bin immer noch schlecht, sauschlecht in Trennungen.

Stimmt es, dass Du „Pray“ nach einer Reise in den Irak geschrieben hast?

SAM SMITH: Das stimmt. Ich war dort mit der Wohltätigkeitsorganisation „War Child“ unterwegs und schämte mich, dass ich zuvor so wenig mitbekommen hatte von der Welt und von dem schrecklichen Leid der Menschen dort. Der Song handelt davon, wie hilflos und hoffnungslos ich mich fühle, wenn ich an all die schrecklichen und gefährlichen Dinge denke, die momentan in der Welt geschehen.

War die Reise gefährlich?

SAM SMITH: Ja, die Reise war gefährlich, aber ich war nicht in Gefahr, vor der Abreise nahm ich zudem an einem viertägigen Trainingslager teil. Wir hielten uns außerhalb von Mossul auf, während der IS dort noch sehr viel stärker war, im Prinzip herrschte dort rund um die Uhr Lebensgefahr. Aber die Menschen, die mir ihre Geschichten erzählt haben und für die ich Geld sammeln möchte, müssen das die ganze Zeit aushalten, während ich nach vier Tagen wieder ging.

Wie trainiert man für potentielle IS-Attacken?

SAM SMITH: In einem sogenannten Feindliche-Umgebung-Kurs. Sie bringen dir bei, was du tun und lassen, was du sagen und besser nicht sagen sollst. Man übt zum Beispiel das Verhalten bei Entführungen und bekommt einen Erste-Hilfe-Kurs. Dazu ein bisschen allgemeines Fitness- und Verteidigungstraining. Richtig vorbereiten kann dich so ein Schnellkurs nicht, aber er macht deinem Kopf klar, dass es ernst ist.

Produzent von „Pray“ ist Timbaland. Wie kam er hinzu?

SAM SMITH: Ganz klassisch. Er wollte mit mir arbeiten und hat mich kontaktiert. Ich bin seit jeher ein Riesenfan von ihm, also sagte ich sofort zu, wir gingen in Los Angeles ins Studio und nahmen diese, wie ich finde, mitreißende Nummer auf.

„Him“ handelt von einem Jungen, der seinem Vater erzählt, dass er schwul ist. Singst Du in dem Stück über deine eigene Erfahrung?

SAM SMITH: Nein, „Him“ ist eine eher allgemeine Betrachtung. Der Song sollte so offen sein, dass Jungs, die in dieser Situation sind, sich darin wiederfinden können. Ich bekomme eine Menge Reaktionen von homosexuellen Kids, ich hoffe, durch dieses Lied werden es noch mehr. Meine vielen schwulen Fans sind absolut wundervoll.

Wie lief dein Coming Out?

SAM SMITH: Sehr leicht, sehr angenehm. Alle in meiner Familie und auch alle meine Freunde waren sehr offen, tolerant und akzeptierend. Aber trotzdem war das eine heftige Sache, die auch Mut erfordert hat. Man macht sich vorher wahnsinnig viele Gedanken, und für viele andere Kinder und Jugendliche da draußen ist dieser Schritt ungleich schwerer als für mich. Nicht alle Eltern sind erfreut darüber, wenn sie von ihrem Kind erfahren, dass es homosexuell ist.

Du hast dich kurz nach Veröffentlichung deines Debüts als schwul geoutet. War das ein großer Schritt?

SAM SMITH: Das stimmt so nicht, mein Coming Out hatte ich mich schon mit zehn. Ich habe, als ich erfolgreich wurde, halt einfach gesagt, dass ich schwul bin und dass meine Liebeslieder von einem Mann inspiriert wurden.

Du bist jetzt neben Elton John wohl der bekannteste lebende, offen schwule Popsänger der Welt.

SAM SMITH: Wow. Ist das so? Ich bin stolz darauf, ein schwuler Musiker zu sein. Es ist aber auch eine Verantwortung. Ich muss aufpassen, dass ich nichts Blödes oder Unpassendes mehr sage, denn die schwule Community verlässt sich auf mich. Aber hey, ich bin erst 25 und auch nur ein Mensch, der manchmal Mist baut.

Alle Welt hat gespannt auf dein zweites Album gewartet. Wie gehst Du selbst eigentlich mit der Erwartungshaltung um?

SAM SMITH: Ich habe versucht, nicht zu viel darüber nachzudenken, was die Leute da draußen von mir erwarten. Ich denke, jeder, der Musik macht, und keinen Nebenjob mehr braucht, um sich über Wasser zu halten, ist gesegnet. Insofern habe ich alles erreicht. Aber ich gebe zu, ich bin super ehrgeizig. Ich gucke mir die Charts an und liebe es natürlich, auf Platz Eins zu stehen.

Was magst Du privat?

SAM SMITH: Gutes Essen, Jazz und Männer! (lacht).

In dieser Reihenfolge?

SAM SMITH: Gerne. Ich treibe es nicht mehr so wild wie vor einigen Jahren, aber ich gehe nach wie vor gern aus und mache Party wie ein 25-Jähriger. Ich bin vom Kopf her ein Junge meines Alters und habe keine Lust, mich von Druck und Verantwortung zermalmen zu lassen. Vor allem in Berlin, wo ich sehr gerne bin, habe ich einige hinreißende Abende verbracht. Ich wohne dort immer in diesem coolen Hotel („Soho House“, d. Aut.) und fühle mich in der Stadt sehr künstlerisch, sehr kreativ.

Was trinkst Du am liebsten?

SAM SMITH: Ich bin umgeschwenkt von Wodka Martini auf Wein. Mein Traum ist es, einen Boyfriend zu finden, der Winzer ist. Mein Partner und ich zusammen auf einem Weingut. Herrlich. Und außerdem hätte ich gern ein zahmes Hausschwein.

Wieso denn das?

SAM SMITH: Weiß nicht. Ein richtig großes und freundliches Schwein. Ist so eine Phantasie von mir (lacht).