War alles nur ein eingefädelter Marketing-Trick? Als Popstar Anastacia als rothaarige Gabby mit schwarzer Baskenmütze, mit britischem Fake-Akzent und ohne ihre bisher typische Brille vor die Jury von „Swedish Idol“ (Pendant zu „Deutschland sucht den Superstar“) trat und hören musste: „Sorry, aber du kannst nicht wirklich singen“, wie Jurorin Kishti Tomita konstatierte. Sie sei zwar talentiert, aber zu spät dran für eine Karriere. Und: Sie klinge FAST wie Anastacia. Sei jedoch viel zu nervös, sie sei nicht gut genug ... und es sei ohnehin „viel zu spät für Dich!“

So kann man „undercover“ also inszenieren. Ein Jurymitglied, der glatzköpfige Anders Bagge, wusste freilich Bescheid, hat er das Ganze doch eingefädelt. Der 49-jährige Schwede arbeitete schon für bzw. mit Jennifer Lopez, Céline Dion oder Enrique Iglesias und schrieb etwa am Song-Contest-Beitrag „Drip Drop“ für Aserbaidschan (Platz fünf im Jahr 2010) mit.  Bagge ist nun Co-Komponist und Produzent von Anastacias Comeback-Album „Evolution“, das durch diesen YouTube-Hit der (peinlichen oder arrangierten?) Jury-Absage eine millionenfache Aufmerksamkeit auf die am kommenden Freitag erscheinenden CD erreicht hat.

Die Wahrheit

Anastacia sang bewusst wie eine Kandidatin, die zum ersten Mal im Rampenlicht steht und wollte gar keine Star-Qualitäten ausstrahlen. Von einer Jurorin, die als Vokal-Coach arbeitet, hätte man freilich erwartet, dass sie Qualitäten erkennen kann und tiefer bei den Gesprächen nach den beiden Vorträgen bohrt (ein schwedischer Titel und ein „eigener“ Anastacia-Hit). Außer das Ganze war ohnehin für die Social-Media-Plattformen inszeniert . . . und selbst Tomita (sie war übrigens schon von 2004 bis 2007 als Casting-Jurorin beim schwedischen TV im Einsatz und wurde für diese Idol-Staffel zurückgeholt) und Kollegin Nikki Amini (sitzt auf der Jurybank seit 2016) waren informiert, haben beim ganzen Theater angesichts der zu erwartbaren Klicks und einer wenn auch nicht gerade sympathischen Publicity gerne mitgespielt.

So klingt das Comeback

Wie auch immer: „Evolution“ (am kommenden Freitag, 15. 9. 2017 von Universal Music veröffentlicht) braucht jedenfalls diese Aufmerksamkeit. Die Melodien verpuffen schnell, die Arrangements scheinen irgendwo stecken geblieben zu sein – da entwickeln sich weder die Dynamik noch der Charme der Debütplatten noch wusste das Team um Anastacia, das Heute in den Sound einzubringen. Tiefpunkt: „Boomerang“, wo die Amerikanerin als Co-Autorin fungiert (wie bei etlichen Titeln): Diese Nummer klingt wirklich nach Castingshow, wo sich eine verkrampfte Kandidatin irgendwo zwischen Janis Joplin, Cher und Tina Turner ausschreien will . . . und keinen eigenen Stil findet. Zu den hörenswerten Stücken zählt die Ballade „Stamina“, wo Anastacia zu berühren vermag. Noch mehr bei „My Everything“, das zwar nicht ganz neu klingt (als Composer werden neben Anastacia noch Anders Bagge, Can Canatan, Linnea Deb, Ninos Hanna und Victor Thell angeführt), aber den wunderbarsten und intimsten Soul-Touch des Albums repräsentiert.

Als nächste Single wird wohl „Redlight“ ausgekoppelt, das beim Autofahren trotz des roten Lichts für gute Laune und freie Fahrt im Kopf sorgt. Somit der hitverdächtigste Titel! Stimmlich kommt die 48-jährige Chicagoerin in ihrer Bandbreite zwischen Rückzug und Ausbruch am bestens in „Before“ (Autoren: Anastacia, Wilhelm Börjesson, Jakob Redtzer, Ninsun Poli) zur Geltung. „Boxer“ wiederum klingt wie eine abgelehnte ESC-Nummer des schwedischen (oder aserbaidschanischen?) Vorentscheids. Womöglich tritt Anastacia irgendwann mal für Schweden beim Eurovision Song Contest an. Sie sollte sich vorher aber besser mit Bonnie Tyler unterhalten (UK-Entry 2013, „Believe in Me“, Platz 19).

Fazit: Wer Anastacia schon persönlich kennenlernen durfte, weiß um eine sympathische, liebenswerte und im Gegensatz zu anderen US-Größen gar nicht kapriziöse Künstlerin, die privat schon sehr zu viel zu kämpfen hatte. Mit diesem Album bereichert sie allerdings nicht die Musikgeschichte. Und befriedigt weder junge Pop-Fans bzw. eine neue Community noch Pop-Nostalgiker, die 2000 bis 2004 als die bessere Alternative (sprich: Nostalgie) empfinden.

In ORF 2: Samstag, 9. 9., ab 20.15 Uhr, "Starnacht aus der Wachau". Neben Anastacia treten u. a. Conchita, Peter Cornelius, Fantasy, Oliver Haidt, Vanessa Mai, Nina Proll, Oliver Haidt, Nino de Angelo, Bernhard Brink, The Baseballs, Alessa und die Tagträumer auf. Moderation: Alfons Haider & Barbara Schöneberger. Aufzeichnung aus Rossatzbach.