Schon der Filmtitel ist ein wütender Kommentar: „I Am Not Your Negro“ (also „Ich bin nicht euer Neger“) heißt Raoul Pecks oscarnominierte Doku. Der gebürtige Haitianer setzt darin dem 1987 verstorbenen schwarzen Autor James Baldwin, der in seinen Werken rassistische Stereotype entlarvte, ein Denkmal.

Baldwins Worte durchdringen die Archivbilder der Bürgerrechtsbewegung der 50er- und 60er-Jahre, das Attentat auf Malcolm X in New York (1965) und aktuelle Polizeigewalt gegen Schwarze in Ferguson (2014). „Es zeigt uns, dass sich im Wesentlichen nichts geändert hat“, sagt Peck im Vorfeld der Oscar-Gala am Sonntag. Dabei gibt sich die Academy of Motion Picture Arts and Sciences heuer geläutert. So viele Afroamerikaner wie nie zuvor sind diesmal für einen der begehrten Goldbuben nominiert.

Als Auslöser gilt der Netzsturm um den Hashtag #oscarssowhite. Dessen Erfinderin, April Reign, sieht durchaus Fortschritte: „Es gibt in dieser Saison mehr Filme, in denen es um die Lebenswelt von Schwarzen geht.“ Darunter die Erfolgsbiografie „Hidden Figures“ über Nasa-Mathematikerinnen oder die Historiendramen „Fences“ und „Loving“. Herausragend: Barry Jenkins' Low-Budget-Produktion „Moonlight“, die sich bei den Golden Globes die Königskategorie „Bestes Filmdrama“ holte. In drei Episoden untersucht der berührende Film in Miamis Crack-Viertel der 80er das Heranwachsen eines jungen, schwarzen Schwulen, der sich ob seiner sozialen Klasse und zerrütteter Familienverhältnisse fehl am Platz fühlt.

#oscarssowhite hat auf jeden Fall eine breite Diversitätsdiskussion um Hollywoods Umgang mit Minderheiten ausgelöst. Wenn Matt Damon jetzt im Action-Film „The Great Wall“ einen weißen Söldner neben chinesischen Kriegern spielt, muss Regisseur Zhang Yimou („Diese Geschichte hat fünf Helden, und Matt ist einer davon. Die anderen vier sind Chinesen“) zur Verteidigung seines kassenträchtigen Stars ausrücken und dem Vorwurf entgegentreten, der Film perpetuiere das alte rassistische Klischee des „weißen Retters“. Und wenn Scarlett Johansson die Hauptrolle in der Neuverfilmung des japanischen Anime-Klassikers „Ghost in the Shell“ übernimmt, wird die Kritik am „Whitewashing“ unüberhörbar.

Das Prinzip des "White Washing"


Die „Weißfärbung“ von Filmfiguren hat in Hollywood ewige Tradition: Marlon Brando gab 1956 in „Das kleine Teehaus“ einen Japaner, Laurence Olivier 1965 Shakespeares „Othello“, und noch 2013 war Johnny Depp als Komantsche Tonto in „Lone Ranger“ im Kino zu sehen - gemäß der Hollywood-Doktrin, dass weiße Schauspieler mehr Publikum anziehen und so für Profitmaximierung sorgen.

Johansson verteidigte ihre Rollenwahl so: Sie nehme den Ruf nach mehr Diversität sehr ernst, habe aber die rare Chance nutzen wollen, in einem Film mit weiblicher Hauptfigur mitzuwirken.

In 89 Jahren: Erst eine Frau mit Regie-Preis geehrt

Ein heikler Punkt. Genauso wie Schauspieler mit nicht weißer Hautfarbe galten Frauen jahrzehntelang als potenzielles Kassengift. Mit diesem Klischee haben die „Tribute von Panem“- Tetralogie oder zuletzt der „Stars Wars“-Ableger „Rogue One“ tüchtig aufgeräumt. Mit entsprechenden Folgen: Erst diese Woche hat das „Centre for the Study of Women in Television and Film“ erhoben, dass die Zahl weiblicher Protagonisten in den 100 kassenträchtigsten Filmen des Jahres 2016 so hoch war wie noch nie. Allerdings ist die nach wie vor vergleichsweise niedrig - nur 29 Prozent hatten eine weibliche Hauptfigur. Und hinter der Kamera? Ist es noch viel schlimmer: Nur bei vier dieser 100 Filme führte eine Frau Regie. In der Oscar-Kategorie „Bester Regisseur“ war 2008 mit Kathryn Bigelow das letzte Mal ein Frau nominiert. Sie war auch die erste und einzige Frau, die den Preis je gewonnen hat. Hollywood - da geht noch mehr.