Jose Carreras kann es auch im rüstigen Alter nicht lassen: Der spanische Startenor wird am Abend vor seinem 70. Geburtstag (5. Dezember) mehr als 10.000 Kilometer von seiner Heimat entfernt in Tokio auf der Bühne stehen. Damit er im Kreise der Familie die Kerzen auspusten kann, werden Kinder und Enkel dem Opa hinterherjetten. Und Carreras freut sich.

"Es ist wundervoll, dass ich in diesem Alter noch arbeiten und meine Gefühle durch die Musik transportieren kann", sagte der Sänger, der vor drei Jahrzehnten eine Leukämie überwand, der dpa im Interview. Aufhören will er nicht. Aber der schicksalerprobte Carreras weiß - vielleicht besser als manch anderer - dass "auch die wunderbarsten Dinge im Leben irgendwann enden" müssen.

Er startete deshalb im Oktober eine internationale Abschiedstournee, die "zwei oder drei Jahre" dauern soll und den Sänger nach Graz im September auch nach Salzburg (Festspielhaus, 20. Dezember) und Wien (Konzerthaus, 22. März 2017) führen wird. Weihnachten und Neujahr wird er in China auftreten. Der Polizistensohn, der im Friseurladen seiner Mutter die Kundinnen mit seiner Stimme erfreute und dafür ein paar Münzen und viel Lob bekam, ist zu einer weltweiten Musikikone geworden.

1947 in Barcelona geboren, begeisterte sich Klein-Jose schon als Sechsjähriger für die Oper, nachdem er mit seinem Vater im Kino den Film "Der große Caruso" mit Mario Lanza gesehen hatte. In der Schule trällerte er ständig Opernstücke, weshalb die Kollegen ihn in Anlehnung an die Verdi-Oper "Rigoletto" nannten. Obwohl sie von Musik wenig Ahnung hatten, förderten die Eltern das Talent ihres Sohnes und schickten ihn aufs Konservatorium. Als Elfjähriger sang Carreras eine kleine Rolle in der Oper seiner Heimatstadt.

Von da an ging es mit dem späteren Mitbegründer der legendären "Drei Tenöre" rapide bergauf. Die Pläne, Chemiker zu werden, wurden kurz nach Aufnahme des Studiums ad acta gelegt. 1970 feierte Carreras in Barcelona mit 24 Jahren sein Debüt als Profisänger. Die katalanische Landsfrau Montserrat Caballe, die damals schon als eine der besten Sopranistinnen der Welt galt, erkannte seine Begabung und wurde zu einer Art Mentorin. Ebenso wie Stardirigent Herbert von Karajan, mit dem Carreras in den nächsten Jahrzehnten eng zusammenarbeiten sollte.

Die Welt lag dem Spanier bald zu Füßen. Der schmale Tenor mit dem schüchternen Lächeln trat Mitte der 1970er-Jahre unter anderem in der Metropolitan Opera von New York, im Londoner Covent Garden und in der Wiener Staatsoper auf. Legendär der 35-minütige Applaus im Haus am Ring 1977 in Zusammenarbeit mit Karajan für seinen Rodolfo in Puccinis "La Boheme".

Carreras begeisterte mit dem besonderen Timbre, der gefühlvollen Ausdruckskraft und Verletzlichkeit seiner Stimme, mit seiner außerordentlichen Beherrschung des dramatischen Registers. Und auch und vor allem mit seiner persönlichen Ausstrahlung. Carreras verriet, dass Karajan ihm einmal gesagt habe: "Weißt Du, warum du so gut bist? Weil jeder Opernbesucher glaubt, du singst nur für ihn alleine."

Auf dem Gipfel des Erfolgs im Sommer 1987 dann der Schock: Carreras hat Blutkrebs. Die Karriere schien zu Ende, schlimmer noch: Die Überlebenschancen galten als gering, die Ärzte schrieben ihn ab. Nach einer Knochenmarktransplantation konnte er die Krankheit doch besiegen. 1988 gründete er die Carreras-Stiftung, um Geld im Kampf gegen Leukämie zu sammeln. Bei seinen alljährlichen TV-Benefizshows kamen schon unzählige Millionen zusammen - und Tausende neuer Fans hinzu.

Für Carreras ist die Krankheit immer noch präsent. Aber nicht nur als etwas Negatives. "Ich denke, ein Mensch, der in seinem Leben solch harte Momente hat, wird reifer und hat andere Ansichten und Prioritäten", sagt der Mann, dessen Mutter an Krebs starb, als er erst 17 war. Nach der Leukämie erreichte Carreras' Karriere noch Meilensteine. Etwa 1990, als der Verdi- und Puccini-Interpret als einer der "Drei Tenöre", gemeinsam mit dem Italiener Luciano Pavarotti und seinem spanischen Landsmann Placido Domingo, durch einen Auftritt bei der Fußball-WM 1990 in Rom einem breiteren Publikum bekannt wurde.

Viele Kritiker klagen, Carreras' Stimme sei heute nur noch ein Abglanz früherer Tage. Bei seinem Comeback auf der Opernbühne nach mehr als acht Jahren wurde der Startenor aber zunächst 2014 in Bilbao und dann heuer im Theater an der Wien bei der Premiere von Christian Kolonovits' Oper "El Juez" (Der Richter) als Titelheld mit Standing Ovations und lauten Bravorufen gefeiert. Der stets bescheiden auftretende Spanier hat zudem immer noch "ranghohe" Fans. Der mexikanische Startenor Rolando Villazon (44) sagte: "Wenn ein Sänger mich bewegt, dann Jose Carreras. Sein Gesang, sein Stil sind für mich vorbildlich."

 Emilio Rappold und Britta Schultejans/dpa