Eine wild wogende, fröhlich winkende Menschenmasse - das schaffen Madness bei ihren Konzerten auch nach 35 Jahren, gerade erst wieder im Juni beim Glastonbury Festival. Die vielköpfige Band ist seit den ersten Hits "One Step Beyond" und "My Girl" von 1979 eine britische Pop-Institution. Spätere Gassenhauer wie "Our House" oder "It Must Be Love" fehlen heute noch auf keiner 80er-Jahre-Party.

Die ewigen Londoner Ska-Straßenjungs um Sänger Graham "Suggs" McPherson, Pianist Mike Barson und Saxofonist Lee Thompson sind jetzt in Würde zu Mitt- und Endfünfzigern gereift. Ihr neues Album "Can't Touch Us Now" (Universal Music), das am Freitag erscheint, spielt mit eben diesem Klischee: Wir wollen eigentlich nicht erwachsen werden, aber wenn es schon sein muss, dann doch mit so viel Spaß wie möglich.

Konkret heißt das in ihrem Fall: "Can't Touch Us Now" ist eine überwiegend mächtig aufgedrehte, sehr britische Tanz-Schaffe mit 16 Songs, deren inhaltlicher Tiefgang eher zweitrangig ist. Man könnte auch sagen, dass Lieder wie "Good Times", "Grandslam" oder "You Are My Everything" mit ihren Texten nicht unbedingt zum Nachdenken anregen wollen. Das war bei Madness aber auch vorher fast nie der Punkt - obwohl das tolle Comeback "The Liberty Of Norton Folgate" (2009) als Konzeptalbum über einen alten Londoner Kiez durchaus beachtliches Songwriting-Niveau aufwies.

"Mr. Apples", die erste Single von der neuen Platte, ist nun noch vergleichsweise anspruchsvoll - der Song porträtiert einen Mann mit Doppelleben zwischen biederem Bürgerleben und heimlicher Spielsucht. "Tagsüber ist er eine Stütze der Gesellschaft - streng moralisch und voreingenommen", sagt Suggs über diese Figur mit Jekyll-und-Hyde-Anklängen. "Wenn aber dann die Sonne untergegangen ist, trifft man ihn in den anrüchigen Stadtvierteln. (...) Mr. Apples ist ein wirklich böser Junge."

Ansonsten nehmen sich die wieder mit Barsons hämmerndem Kneipen-Klavier, viel Gebläse und knackigen Rhythmen aufgepeppten Stücke von "Can't Touch Us Now" nicht allzu ernst. In Suggs haben Madness zudem einen Leadsänger, dessen einstige Lausbubstimme zwar inzwischen einige Oktaven tiefer gelegt und zigarettenrauchgegerbt klingt, der aber sein Entertainer-Geschäft weiterhin versteht - nicht nur als "Rampensau" für große Bühnen, sondern auch auf Tonkonserve.

Balladen sind allerdings nicht die große Stärke dieser Band, "Pam The Hawk" beispielsweise wäre verzichtbar gewesen. Zumal das Album mit fast einer Stunde Spielzeit ohnehin überlang ist und gerade zum Ende deutlich an Dynamik verliert. Ein spätes Meisterwerk wie "...Norton Folgate" ist Madness also diesmal nicht geglückt, sondern "nur" eine sehr solide Pop-Scheibe. Für den Tournee-Tingeltangel vieler Oldie-Bands aus den 70er- und 80er-Jahren sind Suggs & Co damit immer noch viel zu gut.