Ich lebe in Wien, bin 39 Jahre alt. Ich habe noch nie einen Krieg erlebt.“ Mit diesen kurzen Sätzen beginnt ORF-Redakteurin Lisa Gadenstätter heute (ORF eins, 20.15 Uhr) ihre erste DOKeins-Reportage. Und weiter: „Trotzdem hat man mich in New York einmal aus einem Geschäft rausgeschmissen. Warum? Weil ich aus Österreich komme, dem ‚Hitler-Country‘. Das hat mich tief getroffen.“ Gadenstätter stellt heute die Frage der Schuld und mehr noch die Frage der Verantwortung heutiger Generationen für den Holocaust und die Gräuel der Nazidiktatur.

Keine leichte Kost, die sich die Zib 20- und ZiB 24-Moderatorin für ihre DOKeins-Premiere ausgesucht hat. Aber es sei eine „Herzensangelegenheit“ gewesen, zu diesem Thema eine Sendung zu machen, wie sie im Gespräch mit der Kleinen Zeitung betont. Künftig soll Gadenstätter die DOKeins-Schiene gemeinsam mit Hanno Settele bedienen.

Tränen im Schnittraum

Konkreter Auslöser für die Sendung mit dem Titel „Schluss mit Schuld – Was der Holocaust mit mir zu tun hat“ war für die aus Zell am See stammende Moderatorin ein Gespräch mit einem Zeitzeugen für die ZiB 24 im Vorjahr: „Dieser Mann hat mich so beeindruckt, dass ich unbedingt mehr dazu machen wollte. Insofern war ich wirklich froh, dass Lisa Totzauer (Anmerkung: Leiterin ORF eins Info) gesagt hat, das machen wir, auch für ORF eins.“

Gadenstätter wählte bewusst einen sehr persönlichen Zugang: „Ich frage mich, wie wäre es mir und und meiner Familie ergangen. Plötzlich habe ich meine zwei kleinen Nichten vor Augen“, heißt es an einer Stelle der Reportage. Vorbereitung, Aufnahme und Nachbereitung seien emotional und intensiv gewesen, erzählt sie: „Im Schneideraum sind mir dann zweimal die Tränen heruntergekullert.“

Um mehr über die Ereignisse zu erfahren, besuchte sie Zeitzeugen und die früheren Konzentrationslager in Mauthausen und Auschwitz. Einer ihrer Gesprächspartner, die den Holocaust überlebt haben, ist der 88-jährige in Jerusalem lebende Jehuda Bacon: „Ich muss für die reden, die nicht mehr reden können, die nicht mehr da sind.“ Esther Bejarano, 93, spricht davon, wie sie als Teil des Häftlingsorchesters musizierte, während die Arbeitskolonnen in Auschwitz ein- und ausmarschierten. Ein anderer, der in Wien lebende Aba Lewit, 94 Jahre alt, spricht von den sieben Konzentrationslagern, die er überlebte und vom Nazi-Kriegsverbrecher Amon Göth, zu dessen Ergreifung er maßgeblich beitrug. Und dann ist da Göths Enkelin, mit der Gadenstätter über das Gebot der Erinnerung und die Möglichkeit der Vererbung von Schuld spricht.

Aba Lewit (94) hat 7 KZs überlebt und danach einen der größten Nazi-Kriegsverbrecher Amon Göth erkannt und ausgeliefert.
Aba Lewit (94) hat 7 KZs überlebt und danach einen der größten Nazi-Kriegsverbrecher Amon Göth erkannt und ausgeliefert. © (c) ORF

Interessante Perspektiven entstehen durch kurze Videoclips, die Schüler bei ihrem Besuch in Mauthausen zeigen. Mit dem eigenen Smartphone aufgenommen, schildern die Jugendlichen mit bemerkenswerter Unmittelbarkeit ihre Betroffenheit, reflektieren über das Erlebte und stellen sich Fragen nach dem „Warum“ – und nach dem „Was bleibt“.