Es war einmal ein Mädchen. 13 Jahre alt, aus Berlin, Probleme in der Schule und Angst, dies den Eltern zu erzählen. Eines Tages kam Lisa nach der Schule nicht nach Hause, am Tag darauf tauchte sie wieder auf. So weit, so gewöhnlich. Das Mädchen behalf sich mit einer Lüge: Drei Unbekannte hätten sie entführt, die ganze Nacht festgehalten und vergewaltigt. Südländer. In Folge kam es etwa zu zu Demonstrationen und zu einem Angriff auf ein Asylheim. Lisa übernachtete eigentlich bei einem Freund. Fake News sind mächtig.


Fake News! Ein Begriff, der sich spätestens seit Donald Trump in die Hirnrinde der Allgemeinheit eingebrannt hat. „Ich rate dazu, diesen Begriff, so weit es geht, zu vermeiden. Ich selbst kenne ihn erst seit dem Vorjahr. Wir haben viele gute Begriffe für Falschmeldungen aller Art. Hoax, Fake, urbane Legenden, Enten, bewusste Desinformation“, betont Andre Wolf. Er ist Teil des Teams von Mimikama. Die Gruppe hat sich darauf spezialisiert, Falschmeldungen zu untersuchen und zu widerlegen. Bis zu 150 Meldungen erhält Mimikama. Pro Tag. Den Fall Lisa bezeichnet Wolf als Hybrid-Fake: Aus einem echten Erlebnis wird eine falsche Meldung konstruiert – oder extrem tendenziös darüber berichtet.


Es war einmal eine Gruppe von Redakteuren, die über Protokolle der Weisen von Zion schrieb. Sie erzählen von einem Treffen jüdischer Weltverschwörer – was die Londoner „Times“ bereits 1921 als Fälschung entlarvt hatte. In der Zwischenkriegszeit verbreitete sich dieses antisemitische Pamphlet dennoch – auch heute glauben manche Kreise an deren Wahrhaftigkeit. Fake News sind beharrlich.


Verschwörungstheorien sind oft in sich schlüssig und wappnen sich gegen ihre Widerlegung. Wolf verweist auf die satirische „Bielefeldverschwörung“. Demnach existiert Bielefeld nicht, und jeder, der anderes behauptet, hat eine Gehirnwäsche hinter sich. Wolf schildert: „Kürzlich hat uns ein Blog angegriffen, weil wir uns einem Artikel zur vermeintlichen Inexistenz von Masernviren gewidmet haben.“ Auf einen Kleinkrieg mit Verschwörungstheoretikern lässt sich Mimikama nicht ein. Allerdings kämpft das Team mit Drohungen und Verleumdungen. Einmal stand der Verfassungsschutz im Büro und suchte ein Waffenlager.
Es war einmal Edgar Allan Poe. Er veröffentlichte 1844 in der „New York Sun“ eine Geschichte über Monck Mason, der mit einem Gasballon in 75 Stunden den Atlantik überquerte. Viele Zeitungen druckten die Geschichte ab. Bloß: Sie war komplett erfunden. Fake News sind schwer durchschaubar.


Manchmal gehen auch seriöse Medien auf den Leim. Facebook, Twitter und Co. bergen neue Gefahren, schildert Wolf: „Medien versuchen mitzuhalten. Aber Twitter wird immer schneller bleiben.“ Mit der Digitalisierung hat sich nicht nur die Zahl der Falschmeldungen vervielfacht. Sogenannte Bots – also Programme – versuchen, Relevanz vorzutäuschen. Der deutsche Journalist Peter Welchering befasst mit diesem Phänomen. Im US-Wahlkampf, so Welchering, betrieb Trumps Schwiegersohn Jared Kushner „politisches digitales Direktmarketing.“ Er habe Leaks (veröffentlichte geheime Informationen) genutzt, und daraus eine Falschmeldung konstruiert. Mit Datenanalysen hat Kushner deren Empfänger ermittelt. Dann kamen „Social Bots“ ins Spiel: Sie liken, retweeten und kommentieren Meldungen. Facebook glaubt so, die Nachricht sei wichtig und verbreitet sie. „Manchmal meinen sogar Journalisten, eine Nachricht mit vielen Likes sei automatisch relevant“, erläutert Welchering.

Auch in Europa wird mit Bots gearbeitet. „Botswatch“ stellte fest, dass bei der jüngsten Wahl in Schleswig-Holstein um 18.35 Uhr 722 Social-Bots zur Wahl gepostet hatten. 16,85 Prozent aller Tweets mit dem Hashtag stammten von Robotern.


Es war einmal eine spanische Frau, die 28 Jahre lang vorgetäuscht hat, blind zu sein. Was für eine Story! Viele schrieben ab, Ö24 etwa: „Gegenüber dem spanischen Nachrichtenportal ,Hay Noticia‘ rechtfertigte sich Jimenez folgendermaßen: ‚Ich wollte einfach keine Menschen mehr sehen und stehen bleiben, um sie zu grüßen. Ich war nie sehr sozial.‘“ Mimikama machte sich schlau, und voilà: Hay Noticia ist eine Satireseite. Fake News sind verlockend.


Darum geht es vielen Portalen: Klicks, Klicks, Klicks. Welchering erläutert: „Falschmeldungen skandalisieren, emotionalisieren und wir möchten wissen, wie es weitergeht.“ Je nach Aktualität ändern sich Inhalt und Verbreitung. In Zeiten fehlender politischer Dispute erfreuen sich Kettenbriefe guter Konjunktur. 2015 wurde der Ton rauer, viele Falschmeldungen mit Flüchtlingen machten die Runde. Mittlerweile stehe der Islam im Vordergrund, sagt Wolf. Eine Taktik: Jahrealte Meldungen werden ohne Datum erneut gepostet.


Fake News: alte Phänomene unter neuen Vorzeichen. Auch die Gesellschaft muss sich anpassen. Einerseits die Medien, wie Welchering fordert: „Journalisten müssen auch auf Twitter und Facebook die Quelle hinterfragen.“ Und Wolf nimmt die Schulen in die Pflicht: „Dort muss Medienkompetenz gelehrt werden: Wie kann ich Quellen überprüfen? Welche sind zuverlässig?“


Whatsapp für Kettenbriefe, Facebook für Flugblätter, Blogs für Desinformation. Falschnachrichten hat es unter Herodot gegeben, im Römischen Reich, im Mittelalter. Edgar Allan Poe, Zion, Verschwörungen, Massenvernichtungswaffen, um in den Irakkrieg einzumarschieren. Die Austria Presse Agentur (APA) entstand nach einer Falschmeldung über die Schlacht von Magenta im Juni 1859. Mimikama wurde vor sieben Jahren geboren, als der Gründer auf eine Abofalle bei „Farmville“ reinfiel. Fake News gab es, gibt es, und wenn sie nicht gestorben sind, dann fälschen sie auch morgen.