Professor Emmer, Fake News ist ein politischer Kampfbegriff geworden. US-Präsident Donald Trump nennt so Berichte von Medien, die ihm nicht gefallen. Wie definieren Sie den Begriff?
Grundsätzlich steht dahinter etwas bewusst Falsches. Es gibt aber auch andere Gründe, warum etwas nicht zutreffend sein kann: Der Mensch irrt sich. Das könnte man, wenn man Fake News als Kampfbegriff benutzen will, wie Trump das tut, ausweiden. Aus Sicht eines strategischen Akteurs kann alles, was hilft, den anderen zu diskreditieren, Fake News genannt werden. Das gilt auch für Meinungsäußerungen – eigentlich etwas, was nichts mit Fake und auch nichts mit News zu tun hat. Und es gibt bewusst gesetzte falsche Informationen.


Sie sind Experte für Mediennutzung. Wie wirken Fake News?
Zunächst: Viele gehen von einer naiven Idee aus. Demnach bekommen die Leute von den Medien Nachrichten vorgesetzt, und das macht was mit ihnen. Das ist aber zu simpel. Oft ist der Zusammenhang genau umgekehrt. Es gibt Leute in sogenannten Echokammern, die gezielt Futter für ihre verquere Weltsicht suchen. Und denen ist das relativ egal, ob das wahr ist oder falsch. Sie lesen oder schauen sich das an, um das Gefühl zu haben: „Ja, genau, ich hab recht. So hab ich das schon immer gesehen.“


Was bedeutet das für Faktenprüfungen?
Es macht den Kampf gegen Fake News schwer. Man soll nicht meinen, es genüge, nur die Fakten zu widerlegen, und damit sei das Problem gelöst. In der Werbeforschung und der Psychologie kennt man das Phänomen der kognitiven Dissonanz ...


... dabei geht es um unangenehme Selbstzweifel.
Genau. Nehmen wir das Beispiel des Rauchers, der ungern zuhört, wenn es um die Gefahren des Rauchens geht, während er gerne der Geschichte über den deutschen Altkanzler Helmut Schmidt lauscht, der als starker Raucher über 90 geworden ist. So sind wir eben gestrickt. Wir wollen mit uns im Reinen sein. Das führt dazu, dass wir Informationen aus dem Weg gehen. Das wird mit den digitalen Medien einfacher als früher. Da war man auch Inhalten ausgesetzt, denen man ungeplant begegnet ist. Gerade im Internet kann man stärker Unliebsames ignorieren oder ihm aus dem Weg gehen.


Welche Rolle spielen dabei die Algorithmen?
Sie unterstützen genau das. Soziale Netzwerke wie Facebook wollen, dass wir uns wohlfühlen. Sie möchten kognitive Dissonanzen verhindern. Leute, die Dingen aus dem Weg gehen wollen, werden von diesen Systemen bestärkt.


Wer ist besonders anfällig für Fakes und warum?
Fachkollegen aus der Soziologie verweisen auf Brüche in der Biografie. Gibt es etwa einen Punkt, an dem man sich eingestehen muss, dass man das, was man sich als junger Mensch erträumt hat, nicht erreichen wird? Oder jemand merkt, dass der Job nicht mehr sicher ist. In einer solchen Situation tendieren Menschen dazu, Erklärungen zu suchen und manchmal auch nach Schuldigen. Es hat weniger mit dem Bildungsstand zu tun, eher spielt das Alter eine Rolle. Bei jungen Menschen ist das nicht so ausgeprägt wie bei Menschen über 40.


Haben Jüngere sogar mehr Medienkompetenz und können Falsches von Richtigem, Satirisches von Seriösem und Fakes von Wahrhaftigem unterscheiden?
Ein Großteil der Mediennutzung, vor allem Facebook-Nutzung, verfolgt gar nicht das Ziel, Informationen aufzunehmen. Das ist ein Kurzschluss, vor allem von Journalisten. Es geht um Zeitvertreib. Es geht darum, die Identität, das eigene digitale Ich zu beschreiben. Es geht oft auch nicht darum, was wahr ist und was falsch. Es kommt eher darauf an, dass es ins eigene Selbstbild passt oder cool ist. Trotzdem glaube ich, dass die Frage der Bildung und Kompetenzen immer wichtiger wird.


Warum?
Früher hat man sich mehr darauf verlassen, dass das schon stimmt, was Journalisten berichten. Das ist nicht mehr so. Wir brauchen im Prinzip alle Kompetenzen wie Journalisten, um im Internet souverän zu agieren. Das ist noch nicht weitverbreitet. Quellen prüfen muss eine Grundkompetenz aller werden. Da muss man in Schulen, in der politischen Bildung und auch in Familien deutlich stärker ein Auge darauf haben.


Wieso glaubt man traditionellen Medien nicht mehr?
Grundsätzlich ist es doch nicht schlecht, wenn die Leute ein wenig skeptisch sind. Man kann auch so pauschal gar nicht sagen, dass Medien in Verruf geraten sind. Es ist eher so – und auch das ist ein Ergebnis des medialen Wandels –, dass man die Kritik an den Medien sieht. Ich würde viel darauf wetten, dass viel von dem, was wir heute sehen – wie „Die lügen doch alle“ oder auch der ganze Hass im Netz gegen Ausländer –, nicht neu ist. Es wird nicht ausgelöst durch die Medien oder die Netzwerke, sondern war im Prinzip schon immer da. Es wird jetzt aber offen sichtbar. Weil jeder zum Beispiel auf Facebook offen posten kann und es niemanden gibt, der das filtert.


Sehen Sie die Politik auch in der Pflicht bei der Bekämpfung von Fake News?
In der öffentlichen Kommunikation, in den Medien, hat der Staat nichts zu suchen. Aber trotzdem sehe ich die Politik gefordert. Man muss sich Gedanken machen, wie man mit den neuen Akteuren umgeht. Denen muss man einen verlässlichen rechtlichen Status zuweisen. Und da haben wir im Moment Probleme: Konzerne wie Google oder Facebook bieten mediale Dienstleistungen an, die in unserem Medienrecht bisher überhaupt nicht vorgesehen sind. Wenn ich mir anschaue, dass in bestimmten Bevölkerungsgruppen Facebook die Hauptinformationsquelle ist, dann sind wir in einem Bereich, wo im Fernsehen längst alle möglichen Kommissionen eingeschritten wären, wenn solche Marktanteile erreicht wären.


Ist unsere Art der demokratischen Selbstverständigung in Gefahr durch die Entstehung von Filterblasen, von Abschottung und Desinformation?
Demokratie muss man immer neu aktualisieren. Demokratie ist Streit. Und das ist doch das Positive an der Debatte. Dass wir wieder merken, dass die Demokratie nichts ist, was wir als Endpunkt der Geschichte einmal erreicht haben. Echokammern hat es immer gegeben, behaupte ich. Am Ende aber haben die meisten von uns immer noch ein großes Set an sozialen Kontakten, die verhindern, dass wir da hineinrutschen. Die Forschung zeigt, dass die meisten über Medien und Internetnutzung immer noch ein überraschend vielfältiges Weltbild kriegen. Die Tatsache, dass wir solche Gespräche führen, zeigt, dass die Gesellschaft das Problem erkannt hat und nach Lösungen sucht. Ich bin Optimist. Wir kriegen das in den Griff.

Die Autorin ist Redakteurin des Recherchezentrums Correctiv. Die Redaktion, mit der unsere Zeitung kooperiert, finanziert sich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Wenn Sie Correctiv unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen sowie eine Langversion dieses Gesprächs
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