Oft wird einem das Fehlen von Alltäglichem erst bewusst, wenn es längst Geschichte ist. So geschehen etwa bei Videokassetten, Telefonzellen oder der Milka-Schokolade mit Kaffeegeschmack. Was hingegen keinem Österreicher verborgen bleibt, ist das Wirtshaussterben im ganzen Land. Es gibt hierzulande kaum einen Ort, in dem in den letzten Jahren nicht ein oder mehrere Gasthäuser zugesperrt haben. "Seit Ende der 1970er-Jahre sank die Zahl von ungefähr 16.000 auf heute 8500 bis 9000", sagt Klaus Dutzler, der zusammen mit Alexandra Augustin die neue "Schauplatz"-Folge "Sperrstunde" über die Auswirkungen des Wirtshaussterbens gestaltet hat (Donnerstag, ORF 2, 21.05 Uhr).

Unterwegs war das ORF-Duo dafür in Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark. "Derzeit kommt eine Generation von Gastronomen in Pensionsnähe und sie findet keine Nachfolger – unter anderem wegen der notwendigen Investitionen. Also verkauft man das Gebäude oder Grundstück", sagt Dutzler. Sein Einblick geht über die die "journalistische Binnensicht" hinaus. Dutzler hilft in seiner Freizeit oft im Gasthaus seiner Frau in Rossleithen am Gleinkersee in Oberösterreich, außerdem absolvierte er eine Tourismusausbildung in Bad Ischl.

Es war einmal ein Kommunikationsraum
Es war einmal ein Kommunikationsraum © ORF

Die bürokratischen Hürden wie etwa bauliche Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher, die Allergenverordnung oder die Einführung der Registrierkasse sind laut Dutzler kaum einmal Auslöser dafür alles hinzuwerfen. Aber häufig der "letzte Anlass", quasi jener Tropfen, der das Fass übergehen lässt. Das Grundproblem sei viel mehr, dass es "in einer unattraktiven Branche, in der man arbeitet wenn alle anderen frei haben, nicht mehr möglich ist, soviel Gewinn zu machen, der diesen Aufwand lohnt. Ein heute 30-Jähriger, der ganz anders sozialisiert ist als ein heute 60-Jähriger, zeigt keine Bereitschaft 100 Stunden pro Woche zu arbeiten", sagt Dutzler.

Um die 9000 Gasthäuser gibt es in Österreich noch
Um die 9000 Gasthäuser gibt es in Österreich noch © ORF

Konsequenz: "Im Norden Niederösterreichs sowie vielen Teilen der Steiermark und Oberösterreich gibt es Ortschaften und Landstriche wo es kein Wirtshaus mehr gibt", stellte der Journalist bei seiner Recherche fest und natürlich nicht nur dort. Der Verlust des letzten gemeinsamen Kommunikationsraumes – dem "analogen Internet" - beschleunigt die Flucht in die Städte. Denn Bäcker und Fleischer sind ohnedies auch längst geschlossen. Dutzler und Augustin haben aber auch Menschen getroffen, die mit besonderen Ideen ein altes Gasthaus wieder zum Leben erweckt haben: "So hat im steirischen Gaisthal im Bezirk Voitsberg die Gemeinde das Wirtshaus gekauft und ein Verein adaptiert es derzeit so, dass es bald wieder aufsperren kann."

Eines möchte Dutzler auch festhalten: "Es ist nicht so, dass alle Wirte an der Situation ganz schuldlos sind. Manche haben den Anschluss an das Heute verpasst und dann kann ich nicht jammern, dass die Politik an allem Schuld ist." Stammen etwa WC-Anlagen, Inventar und die Speisekarte aus dem Jahr der Eröffnung in den 1980er-Jahren, ist es wenig verwunderlich, dass die Gäste irgendwann lieber zuhause bleiben oder in das nächstbeste Wirtshaus wechseln.