Ein geheimes Zimmer in den Medici-Grabkapellen in Florenz, in dem sich Michelangelo 1530 zwei Monate lang versteckt hatte, um sich der Rache der Herrscherfamilie Medici entziehen, soll den Besuchern ab 2020 zugänglich werden. Damit ging die Direktorin des Florentiner Bargello-Museums, Paola D´´Agostino, zu dem die Grabkapellen gehören, im Dezember des Vorjahres an die Öffentlichkeit.

Der Blick in das "Gefängnis" wird aufregend, denn an den Kammerwänden wurden Zeichnungen freigelegt, die der Renaissancekünstler während seines erzwungenen Aufenthalts gestaltet haben soll. Keine Strichliste, mit deren hilfe Michelangelo die Tage zählte, sondern vielmehr Skizzen, die frappant an seine Hauptwerke (etwa in der Sixtinischen Kapelle) erinnern.

Unter dem Skalpell

Das Zimmer wurde 1975 zufällig von Direktor Paolo Del Poggetto  entdeckt, der damals auf der Suche nach einem neuen Ausgang für Touristen im Museum der Medici-Kapellen in Florenz war.   Unter seiner Leitung  verbrachten Experten Wochen damit, den Putz von den Wänden mit Skalpellen zu entfernen. Als die Schmutzschicht verschwand, kamen Dutzende von Zeichnungen zum Vorschein. Laut Dal Poggetto hatte Michelangelo im Jahr 1530 für zwei Monate Zuflucht in der Kammer gesucht, um sich vor der Medici-Familie zu verstecken und sich ihrer Rache zu entziehen.

Ein Aufstand hatte die Medici-Herrscher der Stadt 1527 ins Exil getrieben. Obwohl sie seine Kunst zuvor gefördert hatten, hatte Michelangelo die mächtige Herrscher-Familie verraten und sich mit anderen Florentinern gegen ihre Herrschaft verbündet. Als sie einige Jahre später wieder zurück an die Macht kamen, war das Leben des 55 Jahre alten Künstlers in Gefahr. Daraufhin musste er sich verstecken. Er nutzte die Zeit, um neue Werke zu planen. Skizzen davon sind an den Wänden des Zimmers zu sehen.

Zweifel am Urheber

Wie der "Kurier" in seiner Ausgabe vom 19. Jänner berichtet, rufen die Gefängnis-Kritzeleien Michelangelos aber auch Zweifler auf den Plan. "Die Geschichte über Michelangelos Flucht ist eine geniale Erfindung", wird etwa Sebastian Schütze, Kunsthistoriker der Universität Wien, zitiert.  Es gebe  kein einziges historisches Dokument,  das das belegen würde. Schütze irritiert auch, warum Michelangelo ausgerechnet auf seiner Flucht eine "Art Potpourri seiner gesammelten Werke an die Wand skizzieren hätte sollen". Auch andere Kunsthistoriker sind skeptisch: Michaelangelo sei damals bereits viel zu berühmt gewesen, um sich in einem unterirdischen raum zu verkriechen, die zeichnungen seien das Werk seines gehilfen, die sich so in den Arbeitspausen vom Mauern und Marmorschneiden entspannt hätten.

Die Ungewissheit dürfte das Interesse an den Arbeiten nicht schmälern. Aber noch ist Geduld gefragt: Michelangelos geheimer Raum wird erst in zwei jahren geöffnet.