Interesse an ihrer Person ist Lisl Ponger nicht recht, schon gar nicht anlässlich ihres 70. Geburtstags am 2. August. "Für sein Alter kann man nichts. Aber für das, was man macht, kann man was. Für das möchte ich gerne beurteilt werden." Da trifft es sich, dass die Künstlerin gerade dabei ist, ein großes Projekt zu finalisieren: Sie gestaltet eine der Eröffnungsausstellungen des Weltmuseum Wien.

In ihrer Ausstellung "The Master Narrative" führt Ponger zentrale Elemente ihrer heterogenen Arbeit weiter, die Film mit Konzeptkunst und Fotografie mit Ethnologie verbindet. Gründliche Recherche und hintergründiger Witz verbinden sich zu einer Kunst, die sich als Einladung zum Denken und Auseinandersetzen versteht. "Ich bin ein Diskurs- und Kontext-Junkie", sagt sie im Gespräch mit der APA. "Heute werden unsere Diskurse aber immer kürzer." Dagegen bringt sie sechs großformatige, inszenierte Fotografien in Leuchtkästen sowie eine achtstündige Zwei-Kanal-Installation in Stellung. Sie sollen die Besucher ab 25. Oktober zu einem Kernproblem führen, denen sich Ethnologische Museen heutzutage gegenüber sehen: Wer bestimmt die Erzählung, die sich in Sammlung und Ausstellungsarbeit vermitteln soll?

Zweieinhalb Jahre hat Lisl Ponger an ihrer Ausstellung gearbeitet. Den Text der achtstündigen Tonspur, auf der sie sich an einem Assoziationsstrang vom Kolonialismus in die Gegenwart vorarbeitet, vom Sammeln und den vielfältigen Interferenzen von außereuropäischer und europäischer Kunst erzählt, hat sie selbst geschrieben und aufgenommen. Dabei geht die Reise u.a. von dem französischen Überseegebiet Tahiti zu Kafkas "Strafkolonie" und zur französischen Anarchistin Louise Michel und weiter über Manet, Dreyfus und Zola bis zu Theodor Herzl. "Ich versuche, größere Zusammenhänge herzustellen." In ihren Fotografien tauchen neben Christoph Kolumbus und Indiana Jones auch die Anthropologin Margaret Mead oder der Ethnologe Franz Boas auf. "Ich bin bildende Künstlerin und keine Ethnologin", sagt Lisl Ponger. "Aber ich bin eine Ethnologie-Aficionada und hab viel darüber gelesen."

Als Künstlerin ist sie Hauptkuratorin des von ihr gegründeten fiktiven "Museums für fremde und vertraute Kulturen" (MuKul). Dieses Museum ohne Haus, dafür mit kritischem Zugang zur ethnologischen Ausstellungspraxis, hat bereits eine sehr erfolgreiche Schau hinter sich. In der Wiener Secession widmete sich das MuKul 2014 in einer ironischen Ausstellung dem Mittelstand als einer vom Aussterben bedrohten Species, deren Artefakte es für die Nachwelt zu bewahren gilt. Die Schau wird in adaptierter Form im Herbst 2018 im Kunsthaus Dresden gezeigt werden. Die Objekte dafür hat sie auf Flohmärkten zusammengetragen und auf Ebay ersteigert. "Das ist der größte Flohmarkt der Welt und eine wahre Suchmaschine für Ideen", sagt Ponger. Ihre Sammlung von Ersttagsbriefen etwa umfasst bereits über 1.000 Stück. Einige davon werden auch im Weltmuseum zu sehen sein - als Beispiele dafür, wie Nationen zu verschiedenen Zeiten an ihrem jeweiligen Master-Narrativ gearbeitet haben.

Freies Denken und freie Wahl der Mittel sind der freien Künstlerin Lisl Ponger wichtig. Daher nimmt sie sich auch die Freiheit heraus, Kritik anbringen zu dürfen: Ein Teil des guten, selbstkritischen Ansatzes des Weltmuseum Wien werde durch die angekündigte Eröffnungsshow konterkarikiert, glaubt sie. "Es ist schon seltsam, drinnen im Museum die richtigen Fragen stellen zu wollen und dann André Heller als Gestalter der Eröffnung einzuladen. Während drinnen versucht wird, die Museumsbestände zu hinterfragen, wird uns draußen möglicherweise ein Multikulti-Spektakel erwarten, das die gestellten kritischen Fragen ignoriert und Anklänge an längst überwunden geglaubte Zeiten hervorruft."

Porträt

Sie ist Fotografin, Experimentalfilmerin und Medienkünstlerin, Autorin und Ausstellungsgestalterin, begeisterte Reisende und kritische Kommentatorin der ethnologischen Ausstellungspraxis. Ihre Arbeiten fordern mit Witz und Intelligenz zum Weiterdenken auf.  Ihr Credo: "Es ist nicht so oder so, sondern immer so und so."

Geboren wurde Ponger am 2. August 1947 in Nürnberg. Ihre Eltern waren vor den Nazis geflüchtet, ihr Vater war als US-Offizier zurückgekehrt und wirkte an den Kriegsverbrecherprozessen mit. Die Familie übersiedelte zurück nach Wien, als die Tochter ein Jahr alt war. Ihre Ausbildung begann sie an der Fotoklasse der Graphischen Lehr- und Versuchsanstalt in Wien. "Ich wollte aber immer Künstlerin werden", sagt Ponger. Als Fotografin dokumentierte sie etwa zahlreiche Aktionen der Wiener Aktionisten wie Otto Muehl oder Hermann Nitsch.

1974 bis 1978 ging sie in die USA und nach Mexiko, ein Land, das sie seither nicht losgelassen hat. "Dorthin würde ich auch auf der Stelle wieder hinfahren. Wenn es nicht so weit weg wäre." Nach ihrer Rückkehr begann sie 1979 mit dem Filmemachen. Ponger war auch für Konzept und Organisation der Avantgardefilmschau "Die Schatten im Silber" im Jahr 1987 verantwortlich und ist Gründungsmitglied des Filmverleihs sixpackfilm. Zu ihren eigenen Arbeiten gehören Super-8-Filme wie "Space Equals Time - Far Freaking Out" (1979), "The Four Corners of the World" (1981) oder "Lichtblitze" (1988). Ponger gilt als Experimentalfilmerin. "Der Langfilm war nie mein Ziel", sagt sie.

Ihren bisher letzten Film hat die zweimalige documenta-Teilnehmerin 2007 gedreht. "Imago Mundi" wurde mit 37 Minuten auch ihr bisher längster Film. "Mit ihm hab ich mich ein bisschen aus der Filmszene rausgefilmt." Der Film "re-inszeniert ein Stillleben aus dem 17. Jahrhundert und verbindet dessen Kritik an weltlichen und geistlichen Machtstrukturen mit der postkolonialen, neoliberalen und globalisierten Welt", heißt es in der Werkbeschreibung.

Das Spannungsfeld zwischen Fremdem und Heimatlichem, Erinnerung und Vergessen, Kunst und Geschichte sind immer wiederkehrende Themen ihrer Arbeiten. Eurozentrismus und Fremdenangst kann die vielgereiste Künstlerin gar nicht verstehen. "Österreich scheint mir eines der furchtsamsten Länder. Woher kommt das? Wir halten uns offenbar noch immer für den Nabel der Welt. Auf was hinauf?"

Heute sieht Ponger, die 1998/99 und 2001/02 Gastprofessorin an der Universität für angewandte Kunst Wien war, die inszenierte Fotografie als ideales Medium für sich. Eine temporäre Rückkehr zum Film sei aber "nicht ausgeschlossen. Wenn ich eine Idee habe, die danach verlangt. Film mache ich, wenn es unbedingt sein muss. Film ist so viel schwieriger zu finanzieren und zu verwirklichen. Meine inszenierten Bilder haben alle Elemente eines Spielfilms - Beleuchter, Maske, Location, Darsteller, Catering -, aber verdichtet zu einem einzigen Bild. Das kann ich an einem Tag realisieren. In meinem Herzen bin ich aber eine Filmemacherin geblieben. Ich denke immer in Filmschnitt."

Ihre Arbeiten beschäftigen sich mit aktuellen politischen Themen wie Migration und Integration, sollen aber nicht nur politisch gelesen werden, fordert sie. "Ich bin nicht der Meinung, dass Ästhetik etwas rein Bürgerliches ist. Allerdings ist mir im Zweifel 'gscheit und schiach' lieber als 'schön und dumm'." Ihre Themen verfolgt sie in Büchern wie "Fremdes Wien" (1993), "Xenographische Ansichten" (1995) oder "Phantom fremdes Wien" (2004) und in den vergangenen Jahren verstärkt in Ausstellungen.

2014 ließ sie in der Secession, deren Mitglied sie ist, das von ihr als Kunstprojekt gegründete "Museum für fremde und vertraute Kulturen" (MuKul) zwei Ausstellungen zeigen: Unter dem Titel "Lisl Ponger. Wild Places" stellte sie ethnologischen Artefakten eigene Fotoarbeiten über Kolonialismus zur Seite, in "Vanishing Middle Class" betrieb sie Spurensicherung am vom Aussterben bedrohten Mittelstand und hinterfragte dabei klassische Mittel der ethnologischen Museumsarbeit. 2016 verwandelte sie im Rahmen der Festwochen-Ausstellung "Universal Hospitality" einen Raum der Alten Post in einen Amtsraum, in dem Flüchtlingsfotos als Puzzles zusammengesetzt werden und vergab Aufträge für die Gestaltung von Briefmarkenbögen.

Für die nächsten Monate sind Teilnahmen an Gruppenausstellungen beim steirischen herbst in der Kunsthalle Krems, im Wiener Dommuseum oder bei der ersten Biennale im chinesischen Anren geplant. Derzeit arbeitet Lisl Ponger aber Tag und Nacht an ihrer Eröffnungsschau für das Weltmuseum Wien, "The Master Narrative". Diese Arbeit scheint ihr nicht nur aus intellektuellen und künstlerischen Gründen sehr zu entsprechen. "Ich glaube, ich war in meinem früheren Leben ein ethnologisches Objekt und hab in einem Museum gewohnt", sagt Lisl Ponger. Und wie häufig bei ihr, weiß man nicht so recht, wie ernst sie das meint. Und bekommt etwas mit, worüber sich nachzudenken lohnt.

www.lislponger.com