Pheobie Bridgers - Motion Sickness

2017 erlaubt jungen Amerikanern angesichts der Einkehr von Agent Orange im Weißen Haus nur zwei Gefühlsregungen: Nachdenkliche Schwermut und zynische Wut. Mit ersterer Polung landet man wie die 22-jährige Phoebe Bridgers beim Label „Dead Oceans“, seit jeher stilsicherer Anlaufpunkt für begrenzt lebensbejahende Songschreiber. Das Album hat, wie „Motion Sickness“ belegt, sämtliche Emotionen jugendlicher Weltsicht parat: Pure Verzweiflung, suizidale Verzweiflung und zelebrierte Verzweiflung – und die beste aller Eigenschaften: Schönheit, ohne es zu wissen. 

Mickey - In your Face

Die Verbindung von ganz wenig Kunst und ganz viel Pop ist sowas von Mainstream, darüber kann auch keine Wiener Hipster-Attitüde mehr hinwegtäuschen. Macht aber: nix. Die eine Hälfte der heimischen Indie-Kapelle Gin Ga ersetzt die fehlende Hälfte einfach durch Synthesizer und Drum-Machine und macht weiter, wo Gin Ga nie hätten aufhören sollen: an der Grenze zum Erfolg.  

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Daphni - Tin

Der Beat hoppelt und fummelt anfangs ungelenk nervig wie ein Teenager in der Land-Disco, wird dann aber: Ein herrlich aufgeschichtetes Meisterwerk des Masterminds hinter der Band Caribou, das über die Ohren direkt ins Blut geht, ohne Pause, immer floorwärts. 

Four Tet - Lush

Kieran Hebden alias Four Tet verbindet einmal mehr, was eigentlich so gar nicht zusammenpassen mag: Energische Aufbruchsstimmung bei vollends eingekehrter innerer Ruhe. „Lush“ ist, wenn das Bauchgefühl an einem warmen Sommerabend auflegen könnte: Herzrhythmusmusik.

Leif Vollebekk - East of Eden

Es gibt so Worthülsen, die sollten zur Strafe für ihrer Unsterblichkeit wenigstens bis in alle Ewigkeit in Abreißkalendern und auf Facebook-Profilfotos versauern – und doch haften sie an kreativen Betitelungen aller Art wie Kaugummi. Die abgedroschene zweisame Einsamkeit, die Leif Vollebekks Albumtitel „Twin Solitude“ verspricht, ist allerdings das einzige Manko eines ansonsten meisterlichen Albums, das seinen Liedern so viel Luft zu Atmen gibt wie etwa „East of Eden“, mehr Jam als Song, verschlafen formloser Bluesjazz für, ähm, ewige Augenblicke beständiger Unbeständigkeit.

Elbow - All Disco

Wohlige Timbre, Streicherschwärme und turmhohe Melodiebögen – Elbow machen wenig anders und klingen doch um die entscheidende Nuance gegenwärtiger als zuletzt. Glühend euphorisch musizieren sich die Briten um das Loch herum, das der ausgestiegene Drummer hinterlassen hat und entdecken dabei eine neue Liebe zur Gelassenheit, die sich auch in Guy Garveys Texten widerspiegelt: „What does it prove if you die for a tune? It’s really all disco.“ 

Sampha - (No one knows me) Like the Piano

Der Mann hat eine Kontakte-App am Handy wie ein ganz Großer – und doch rief er niemanden an, der auch nur irgendwie für die Höreraquise förderlich sein könnte: Sampha hat mit Kanye West und Frank Ocean kollaboriert, Beats für Beyonces Schwester Solange gebastelt und das oberste Fach des R&B mit seinen Produktionen im Alleingang gezimmert. Und am Debütalbum? Kein einziger Gastauftritt. Das nennt man dann wohl Emanzipation, wenn man mit einem einzigen Track wie „(No one knows me) Like the Piano“ gleich mal die ganze Diskografie mancher Auftraggeber zerlegt.  

The War on Drugs - Up all Night

Wie in einem andauernden Rauschzustand stellen The War on Drugs ihre handwerkliche Könnerschaft gerne in Überlange zur Schau: „Up all Night“ bewegt sich aus der Düsternis stetig auf die Sonne zu, immer mehr aus- als einatmend, bis die Fenster zur Seele ganz weit runtergekurbelt sind und der Fahrtwind Lust macht auf alles, was da von dieser Band noch kommen mag. 

Big Thief - Shark Smile

Zum Niederknien ergreifender Weltschmerz aus Brookyln, noch einmal Marke jugendliche Nachdenklichkeit trifft auf unbewusste Schönheit: Big Thief verschränken Lagerfeuerromantik mit Splatter-Lyrics. Masterpiece hieß das erste Album, das zweite ist es geworden. 

Ryan Adams - Prisoner

Zugegeben: den Sound muss man sich erst mal schönhören. Nudelweiche Drums, schmierige Gitarren, tussige Keyboards – und über allem liegt eine dicke Staubschicht, die sich angesammelt hat seit mindestens – ja, seit wann denn eigentlich? Seit den 80ern, um Himmels Willen! Ryan Adams mit Schimanski-Gedächtnisjeansjacke, kann das gutgehen? Und wie – weil spätestens seit „Stranger Things“ den größten kulturellen Verirrungen der Nachkriegszeit jeglicher Schrecken genommen wurde. In einem gegenwärtigen Jahrzehnt, dass nicht mal während des Jahrzehnts cool ist, haben sich sie Sünden von damals in Schätze verwandelt. 

Sleaford Mods - BHS

Und während das junge Amerika sich in Schwermut übt, regiert in der englischen Vorstadt-Provinz die zynische Wut. Arbeitslosigkeit, Barfights und Scheißwetter – niemand atmet und artikuliert die britische Working Class wie die Mods aus Sleaford. Soundtrack zum Fäusteballen, Wutschnauben und Kleinkriminellwerden. 

Peter Broderick - A Ride on the Bosphorus

Peter Broderick, im Referenzverzeichnis eingetragen unter „eigenwillig bis schräg“ und seines Zeichens musikalischer Dienstleister allerlei Auftragsarbeiten von Soundtracks bis Konzeptwerken, verbindet neuerdings Kammermusik mit Krautrock. Ein Can-Beat nimmt mit auf eine Reise durch zauberhafte Märchenwelten, in denen Töne wie Farben ineinander verlaufen. Nach einer Viertelstunde spuckt einen das Stück wieder aus, und alles ist ein wenig besser geworden.