Schostakowitschs Oper wurde unter Stalin verboten, dann lange nicht gespielt. In Klagenfurt kommt ab morgen die Originalfassung auf die Bühne.
KRISTIINA POSKA: Das Stück ist immer wieder gespielt worden, aber trotzdem kann man in den letzten Jahren von einer Renaissance sprechen. Wir spielen die Originalfassung. Die spätere Fassung aus dem Jahr 1963 ist nicht eine Verbesserung, sondern ein Versuch, die Oper nach ihrem Verbot wieder bühnenfähig zu machen. Schostakowitsch hat dabei viele Änderungen vorgenommen. Speziell die Szenen, die mit Sexualität verbunden waren, wurden unschuldiger, weicher gemacht.

Also ins Gegenteil verkehrt?
Gewissermaßen. Die Oper zeichnet sich ja besonders durch ihre Expressivität und ihren Realismus, großteils auch ihre Brutalität aus. Der Stoff stammt direkt aus dem Leben – es ist eine wahre Geschichte, ein Fall, den Nikolai Leskow in Gerichtsberichten gefunden hat. Dort gibt es sogar fünf Morde, nicht vier wie in der Oper. Schostakowitsch hat diese grausame Geschichte sowieso schon etwas entschärft und Katerina, der Mörderin, Menschlichkeit und Sympathie verliehen. Diese Grausamkeit in der Musik ist daher absolut notwendig, um die Geschichte möglichst treu weiterzugeben.

Keine schöne heile Welt im Theater ...
Nein, sicherlich nicht. Aber eine Auseinandersetzung mit der menschlichen Seele. Bei oberflächlicher Betrachtung könnte man sagen, es geht um Leidenschaft, unkontrollierte Gefühle, um Mord natürlich, und Brutalität. Aber das ist nur ein Teil der Geschichte. Die Hauptdarstellerin Katerina ist eine extrem vielseitige Person und sehr widersprüchlich. Wie wir alle. Und genau diesen Punkt finde ich bei der Geschichte so interessant, weil die Widersprüchlichkeit in uns Menschen schon eincodiert ist. Und das, was unser Schicksal entscheidet, bleibt unklar. Die Oper lässt vieles offen und jeder kann die Geschichte durch seine persönliche Lebenserfahrung und Moral interpretieren.

Wann haben Sie die Oper zum ersten Mal gehört und wie war das für Sie?
Das muss etwa zehn Jahre her sein. Ich war extrem schockiert und erschüttert, konfrontiert mit allen möglichen Gefühlen, die man sonst nicht in der Oper hat. Dieses Stück kann man nicht einfach vergessen, wenn man nach Hause geht. Als das Angebot kam, die Oper in Klagenfurt zu dirigieren, war ich sofort einverstanden. Schostakowitsch ist einer meiner Lieblingskomponisten. Seine Sprache ist wie ein Sog. Gleichzeitig fragte ich mich: Wie werde ich es überleben, mich im Winter zwei Monate lang täglich mit diesem Stoff zu beschäftigen, ohne depressiv zu werden?

Zurzeit machen Sie keinen depressiven Eindruck.
Komischerweise ist es beim Arbeiten anders. Bei der näheren Arbeit mit der Partitur erkennt man, wie viel Schostakowitsch über feine unterschiedliche Farben und Schattierungen erzählt. Für mich ist Schostakowitsch ein Meister beim Darstellen des Unbewussten und der seelischen Graubereiche.

Die Oper braucht eine große Besetzung.
Soweit ich weiß, ist es die größte Besetzung, die es bisher in Klagenfurt gab. Wir haben uns lange überlegt, wie wir das alles überhaupt unterbringen. In dem Stück gibt es ja neben dem riesigen Orchester im Graben auch eine Banda von Blechbläsern, die laute Stellen noch verstärken. Das ist typisch für Schostakowitsch, dass er alle Extreme auskostet und wenn man das Gefühl hat, dass jetzt die Grenze erreicht ist, gerade dann verdoppelt er noch die Wirkung. Ziemlich am Anfang des Stückes wird die Köchin Axinja vergewaltigt – eine der brutalsten Szenen in der ganzen Operngeschichte. Das Gefühls-chaos wird hier perfekt in Musik umgesetzt. Es gibt überhaupt nichts Symmetrisches, nicht bei den Solisten, nicht beim Chor, nicht im Orchester; das Tempo ist extrem, die Streicher gehen fast an die Grenze der Spielbarkeit und man wünscht nur, dass es vorbei wäre. Und genau dann kommt noch ein Presto, wo es noch deutlich schneller wird. Die Absichten des Komponisten sind eindeutig: Es muss unerträglich werden für alle – für die auf der Bühne, für die im Graben und auch für die im Publikum.

Sie erzählen das so plastisch und bildreich. Könnten Sie sich vorstellen, auch zu inszenieren?
Nein. Diese Ambition habe ich nicht. Aber mir ist die Zusammenarbeit mit der Regie extrem wichtig. Hier mit Immo Karaman arbeiten zu dürfen, ist ein unglaublicher Glücksfall. Durch seine Sensibilität und sein Verständnis für Stoff und Musik erarbeitet er ein Konzept, das nie gegen die Musik geht. Gleichzeitig ist er sehr offen und versteht das Theater wirklich als Zusammenarbeit.

Müssen Dirigentinnen besser sein als ihre männlichen Kollegen?
Es wird oft so behauptet, obwohl ich das persönlich nicht bestätigen kann. Ich glaube, dieser Beruf ist sehr schwer für alle, es kann allerdings sein, dass Frauen sich das oft auch selbst schwerer machen, hauptsächlich wegen endloser Selbstkritik. Ich bin von meiner Natur her eine hoffnungslose Optimistin und habe eigentlich immer nur das gemacht, worauf ich Lust hatte. Eine Opferhaltung ist kein Weg, sondern das Wegschieben von Verantwortung. Das ist genau das Thema auch in unserer Oper: Katerina kann man auch als ein Opfer der Gesellschaft und ihrer Umgebung sehen. Ich persönlich sehe das anders und denke, dass wir immer die Verantwortung für alle unsere Taten am Ende selbst tragen müssen.