Treue Besucher des Stadttheaters werden sich erinnern: 1998 inszenierte der damalige Intendant Dietmar Pflegerl mit Verdis „La Traviata“ seine erste Oper. Die Produktion lebte von Stimme und Ausstrahlung der Lettin Sonora Vaice, war ganz auf sie zugeschnitten. Auch Richard Brunel ließ sich von einer Violetta mit gewissem Etwas inspirieren. Heute feiert seine "Traviata" am Stadttheater Premiere.

Sie setzen Ihre Violetta in ein anderes Umfeld. In Klagenfurt ist sie keine Kurtisane, sondern ein Model.
RICHARD BRUNEL: Ja. Die Idee dahinter war, die Pariser Halbwelt und die von den Männern ausgehaltene Kurtisane ins Heute zu übertragen. Im 19. Jahrhundert gab es für bürgerliche Männer drei Typen von Frauen. Die jungen, die frisch aus der Klosterschule kamen und auf die Hochzeit vorbereitet wurden, dann die legitime Ehefrau, die ihre Reproduktionsfunktion zu erfüllen hatte, und schließlich die Kurtisane, bei der Männer ihre Sexualität ausleben konnten und sich gleichzeitig in gehobenen Kreisen bewegen konnten. Diese Kurtisanen kamen oft aus der Kunstwelt, aus dem Theater, vom Ballett oder aus der Modebranche. Marie Duplessis, das historische Vorbild der Kameliendame, hat vor ihrer Kurtisanenlaufbahn als Wäscherin und Putzmacherin gearbeitet. Das haben wir weiterentwickelt und mit Claudia Boyle haben wir eine Sängerin, die ein richtiges Modelgesicht hat.

Erfolgreich, begehrt und todkrank: Die Irin Claudia Boyle ist die Klagenfurter Violetta
Erfolgreich, begehrt und todkrank: Die Irin Claudia Boyle ist die Klagenfurter Violetta © STK/Fernandez

Wie meinen Sie das?
Claudia Boyle ist sehr schön, sehr glanzvoll, hat aber auch eine gewisse Melancholie im Gesicht. Mit dem Bild der Sängerin vor Augen war es noch interessanter, die Idee mit dem Model weiter zu verfolgen. Deshalb ist auch das Bild den ganzen Abend über präsent. Es gibt Fotos, weil Violetta als Model fotografiert wird, man sieht Röntgenbilder, weil sie krank ist und auch Filmaufnahmen.

Sind die Bilder auch wichtig für die Handlung?
Sie sind Teil der Handlung, keine reine Deko. Baron Douphol ist bei uns ein Fotograf. Seine Fotos von Violetta betrachtet das Publikum gemeinsam mit dem Chor und den übrigen Figuren der Handlung bei der Vernissage einer Ausstellung.

Welche Rolle spielen die anderen Figuren?
Im Roman von Alexandre Dumas gibt es ein soziales Panoptikum der Halbwelt mit vielen Figuren, die eine Bedeutung haben. In der Oper konzentriert sich alles auf das klassische Verdi-Dreieck mit Violetta, Alfredo und Germont. Ich möchte die anderen von Dumas übrig geblieben Figuren aufwerten, die Verbindung zwischen ihnen verstärken. Wenn man die Beziehung zwischen Flora und Violetta (Anm.: im Roman heißen sie Prudence und Marguerite) bei Dumas anschaut, ist es doch auch eine Geschichte zweier rivalisierender Frauen.

Und Alfredo?
Betrachtet man sein Verhältnis zu Violetta, die bei uns ein Model ist, fragt man sich natürlich, wieso sein Vater Giorgio Germont so gegen diese Beziehung ist. Deswegen war es wichtig, aus Alfredo einen in der Öffentlichkeit stehenden Mann zu machen. Er könnte Politiker sein oder Firmenchef, da legen wir uns nicht fest. Aber bei einer Heirat mit Violetta könnte er sein Image und seinen sozialen Stand verlieren. Auf diesen Überlegungen basieren die beiden großen Festszenen, die doch sehr schwer zu inszenieren sind. Und darüber darf man nicht vergessen, dass Violetta krank ist. Am Anfang des Romans beschreibt Alexandre Dumas den Leichnam der Marguerite. Auch wir beginnen mit dem Leichnam Violettas im Krankenhaus. Das entspricht auch der Musik Verdis, denn das Vorspiel beginnt mit dem sehr feinen Todesmotiv, das dann im dritten Akt beim Tod Violettas wiederkehrt.

Sie liegen im Trend. Bei den Salzburger Festspielen kam heuer in beinahe jeder Inszenierung ein Krankenbett zum Einsatz.
Ich habe das in „Lear“ gesehen, ja. Aber dass wir auch ein Krankenbett haben, ist Zufall. Wir hatten die Idee schon vor zwei Jahren. Allerdings ist interessant, dass sich viele Regisseure mit Krankenhäusern und kranken Menschen beschäftigen. Vielleicht ist ja die europäische Gesellschaft krank? Jedenfalls ist das Krankenhaus Teil unseres Lebens geworden. Fast wie ein Wohnzimmer. Ich sehe das nicht pessimistisch, schließlich wird vielen Menschen im Krankenhaus ja auch geholfen.

Ist es Ihre erste Traviata?
Ja.

Warum haben Sie die Regie angenommen?
Ich habe eine Liste mit zehn Opern, die ich gerne inszenieren will. „La Traviata“ gehört dazu. Wenn man die Musik liebt, kommt man an dieser Oper einfach nicht vorbei. Ich freue mich, sie hier zu inszenieren, was auch viel mit Claudia Boyle zu tun hat. Als ich sie das erste Mal gesehen habe, dachte ich an Marilyn Monroe.