Nicht mit Pauken und Trompeten, nicht mit vollem Orchesterklang, sondern mit einem einzigen Musiker und einer fünfköpfigen Tanztruppe ist gestern, Sonntag, Abend, die Hamburger Elbphilharmonie in ihre erste ganze Saison gestartet. Nicht alle Besucher waren von der Zusammenarbeit des französischen Cellisten Jean-Guihen Queyras mit der belgischen Choreografin Anna Teresa De Keersmaeker begeistert.

Die sechs Bach-Cellosuiten zählen für den österreichischen Elbphilharmonie-Intendanten Christoph Lieben-Seutter zu den Meisterwerken der Musikgeschichte - "die pure musikalische Essenz". Was von Queyras mit De Keersmaeker und ihren "Rosas" unter dem Titel "Mitten wir im Leben sind" Ende August bei der Ruhrtriennale uraufgeführt wurde und in den kommenden Monaten durch zahlreiche europäische Koproduktionshäuser tourt, ist wahrlich nicht kulinarischer Mainstream. Der Abend verlangt von den Mitwirkenden ebenso wie vom Publikum hohe Konzentration und die Bereitschaft, sich auf ein kompliziertes Geflecht an Zeichen einzulassen.

Auf den Tanzboden geklebte, in den kurzen Pausen zwischen den Suiten stets erweiterte geometrische Figuren wie Pentagramme, Kreise und Spiralen deuten einen geheimen Bauplan an, dem auch die meist solo ausgeführten spröden Bewegungs- und Schrittfolgen gehorchen, in die sich immer wieder die Starchoreografin selbst einschaltet. Die Parallelität von Musik und Tanz wird schließlich aufgelöst, und als die Tänzer in aller Stille keuchend weitermachen, wird es einem Zuschauer zu viel: Man würde ganz gerne wieder Musik hören, tönt es von einem der Ränge in diesem spektakulären, die Sitzreihen nach Art eines Weinbergs terrassenartig in die Höhe schichtenden Konzertsaals.

Am Ende der zwei pausenlosen Stunden, nachdem der Solo-Cellist in äußerst zurückgenommenen langsamen Passagen die sensationelle Akustik (der dafür verantwortliche japanische Spezialist Yasuhisa Toyota war ebenfalls im Publikum) des 2.000-Plätze-Saals unter Beweis gestellt und De Keersmaeker die Schluss-Suite als beschwingten Ensembletanz aufgelöst hatte, gab es neben viel Applaus auch einige Buhs. Lieben-Seutter, der sich in seiner Eröffnungsansprache diebisch gefreut hatte, Erwartungen zu unterlaufen und neue Wege zu beschreiten (gleichzeitig aber beruhigte, aus dem Konzert- werde nun kein Tanzhaus), kann es egal sein: Der Run auf die Karten ist ungebrochen. Über 500.000 Menschen besuchten seit der Eröffnung im Jänner die ausverkauften Konzerte, und für die erste komplette Saison werden 850.000 Besucher erwartet.

Da sind die bis zu 20.000 Menschen, die täglich die "Plaza", das Aussichtsdeck des von den Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron umgebauten ehemaligen Speichers, stürmen, noch gar nicht mitgerechnet. Über dreieinhalb Millionen Besucher haben seit Beginn von hier eine unvergleichliche Aussicht über Hafen und Stadt genossen. "Die Zahlen sind überwältigend", freute sich Kultursenator Carsten Brosda (SPD) zur Saisoneröffnung und nannte die in Gesprächen unter Hamburgern in den vergangenen Monaten am häufigsten gestellte Frage: "Hast Du denn eine Karte für ein Konzert bekommen?"

Nach wie vor braucht man vor allem Losglück, um an eine Konzertkarte in der Elbphilharmonie zu kommen, doch auch Hartnäckigkeit oder rasches Handeln hilft: Immer wieder lassen sich kurzfristig zurückgegebene Karten ergattern, zudem werden laufend weitere Konzerte oder gar Festivals wie die gemeinsam mit Kampnagel veranstalteten und der zeitgenössischen Musik gewidmeten "Greatest Hits", die am 1. November vom Klangforum Wien unter Peter Eötvös eröffnet werden, programmiert und in den Vorverkauf gegeben. "Es kommt immer wieder etwas nach", versprach Lieben-Seutter.

Nicht immer freilich ist den Hamburger Politikern die große Aufmerksamkeit auf alles, was sich in und um das Konzerthaus tut, auch wirklich recht. Das Galakonzert und das Abendessen für Top-Polit-Prominenz in der Elbphilharmonie anlässlich des G-20-Gipfels wurde von den ganz in der Nähe stattfindenden Krawallen überschattet. Die Fotos, die da um die Welt gingen, waren nicht so ganz nach dem Geschmack der Touristiker, die sich ansonsten über ein Fünf-Prozent-Plus im ersten Halbjahr 2017 und stark gestiegene Nachfrage vor allem aus der Schweiz, Österreich, den USA und Großbritannien freuen. Und der kleine Konzertsaal, dessen hölzerne Innenhaut von Toyota im Sommer einer akustischen Nachjustierung unterzogen wurde, kam jüngst durch einen Wasserschaden im Foyer in die Schlagzeilen. Die Schadensbehebung wird noch bis November dauern, der Konzertbetrieb soll jedoch auch hier wie geplant stattfinden, versicherte der Kultursenator: "Der Schimmel ist raus!"

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