Der erste Applaus galt keinem Musiker. Während sich die ÖVP beim gestrigen Parteivorstand ihrer Zukunftshoffnung Sebastian Kurz komplett unterordnete, hatte der zurückgetretene Parteiobmann Reinhold Mitterlehner im Wiener Konzerthaus Platz genommen, um dem Auftaktkonzert zu lauschen. Von Konzerthaus-Chef Matthias Naske bei seiner kurzen Eröffnungsansprache willkommengeheißen, erhielt der Vizekanzler so langen, respektvollen Beifall, wie er es wohl schon länger nicht mehr gewohnt war. Bei Teilen von Bedrich Smetanas "Mein Vaterland" und den "Notations" von Pierre Boulez hatte man anschließend ausgiebig Gelegenheit, über den Zusammenhang von alt und neu, Emotionalität und Rationalität, nachzusinnen.

"Vaterland" am Muttertag also, und Barenboim unternahm nichts, den in den 70ern des 19. Jahrhunderts entstandenen symphonischen Dichtungen Smetanas ihren Hang zu Pathos und Sentiment auszutreiben. Das Kriegsgetümmel am "Vysehrad", fröhliche Volksliedklänge "aus Böhmens Hain und Flur" und der mächtige, alles mitreißende Strom, zu dem sich "die Moldau" entwickelt - volles Einlassen auf die tonsetzerisch nachgebildeten Naturgewalten und Heraufbeschwörungen von Geschichts- und Traditionsbewusstsein, war die Devise.

Wie anders klang dann nach der Pause die neue Zeit, vertreten durch eines der berühmtesten Musikstücke der Moderne, den immer wieder umgearbeiteten "Notations" von Pierre Boulez (1925-2016), dem das Konzerthaus in den kommenden Wochen eine komplette Werkschau widmet. Subtil gebot Barenboim, diesem Werk innig verbunden wie kein anderer Dirigent, über die Umsetzung durch die in voller Orchesterstärke angetretenen Philharmoniker: blitzende Intellektualität, die dennoch nicht kalt und steril wirkte. Das erste "Bravo!" folgte am Ende durch den Dirigenten selbst. Das Publikum schloss sich mit einem ganz unpolitischen Applaus an. Beeindruckt, doch nicht begeistert.