Als Sängerin verstand sich Ella Fitzgerald eigentlich nie, zumindest am Anfang nicht. Die junge Afroamerikanerin aus ärmlichen Verhältnissen in Yonkers bei New York wollte tanzen. Ausgerechnet ihre weichen Knie im Lampenfieber sollen dazu geführt haben, dass sie im Apollo Theatre in Harlem stattdessen ihre Stimme tanzen ließ, die sie berühmt machte. Bald reifte sie zur First Lady des Jazz heran. Am 25. April wäre Fitzgerald 100 Jahre alt geworden.

Zum Auftritt in der als „Amateur Night“ bekannten Talentschau, bei der unter anderem die Jackson 5 und James Brown ihre Karrieren begannen, war die 17-Jährige über ein Losverfahren gekommen. Das Tanz-Duo vor ihr hatte sie offenbar eingeschüchtert, und als ihre Beine versagten, soll das als erbarmungslos berüchtigte Publikum in Gelächter ausgebrochen sein. Doch mit „The Object of My Affection“ von Connee Boswell zog sie die Zuschauer auf ihre Seite - und gewann.

13 Grammys und 40 Millionen verkaufte Alben später gilt Fitzgerald als eine der größten Sängerinnen des Genres. Ihre sanfte und über drei Oktaven reichende Stimme mit einer unverwechselbaren Klangfarbe setzte sie in ihrem sehr breiten Repertoire wie ein Instrument ein. Bis heute scheinen ihre Interpretationen von „They Can’t Take That Away From Me“, „It Don’t Mean A Thing“ oder „How High The Moon“ ewige Jugend auszustrahlen.

Waisenhaus und Bordell

Leicht hatte es Fitzgerald auf ihrem Weg nicht: Ihren Vater lernte sie nie kennen, ihre Mutter starb, als Ella 15 Jahre alt war, ihr Stiefvater misshandelte sie. Sie stand in einem Bordell Schmiere und arbeitete als Assistentin für Glücksspieler, ehe sie nach Aufenthalten bei ihrer Tante in Harlem, im Waisenhaus und einer Erziehungsanstalt auf der Straße landete. „Sie lebte mit den Menschen, mit denen sie sprach, aß mit ihnen und schlief, wo immer sie konnte“, erinnerte sich Sänger Charles Linton an das ungewaschene Mädchen, das auch für Trinkgeld auf der 125th Street tanzte.
Sicher hätte Fitzgerald diese harten Anfänge in der Presse ausschlachten können, doch sie behielt diese Details für sich. Die „New York Times“ schrieb darüber: „Anders als Popikonen von Sinatra bis Madonna verwandelte Fitzgerald ihr Privatleben nicht in eine melodramatische Nebenaufführung für den öffentlichen Konsum.“
Erst Chick Webb, mit dessen Orchester sie ab 1935 im Savoy Ballroom auftrat, entwickelte sich zum Mentor und Freund, der ihr den Weg ebnete. Sie sang erste Schallplatten ein und landete mit ihrer Swing-Fassung des Kinderlieds „A-Tisket, A-Tasket“ einen Hit. Der erste von ihr mitverfasste Song „You Showed Me the Way“ (Du hast mir den Weg gezeigt) kann fast als Liebeserklärung und Dank an Webb und das Orchester gelesen werden, das ihr neues Zuhause wurde. Als Webb 1939 an Tuberkulose starb, übernahm Fitzgerald die Band mit mäßigem Erfolg, entwickelte sich selbst musikalisch aber weiter.

Im schwarzen Harlem mag Fitzgerald begeistert haben, doch die Welt des weißen Showbusiness blieb ihr lange versperrt. Selbst beliebte schwarze Musiker wurden in den 1950er und 1960er Jahren systematisch aus Clubs, Hotels und Restaurants ausgeschlossen. Keine Geringere als Marilyn Monroe, die Fitzgeralds Gesang studiert hatte, verschaffte der Afroamerikanerin einen Auftritt im „Mocambo“ – jenem Club in Hollywood, in dem Frank Sinatra 1943 sein Debüt feierte und den Größen wie Charlie Chaplin, Humphrey Bogart und Lauren Bacall besuchten. „Danach musste ich nie wieder in einem kleinen Jazzclub spielen“, schrieb Fitzgerald später.

Weltweit ging die Sängerin auf Tour, manch unvergessene Abende an der Seite von Sinatra, Louis Armstrong oder ihrem Lieblingspianisten Count Basie. Sie perfektionierte den Scat-Gesang, bei dem sie ihre Stimme in freier Improvisation über Jazz-Akkorde wandern ließ. Trotz ihrer sich verschlechternden Gesundheit trat sie auf, bis ihr 1993 als Folge einer Diabetes-Erkrankung beide Unterschenkel amputiert werden mussten. Nach drei gescheiterten Ehen starb sie 1996 in ihrer Villa in Beverly Hills mit 78 Jahren.

Die eine oder andere Träne hatte sich die Lady aus den Augen getupft, als das Kennedy Center in Washington sie 1979 mit dessen höchster Auszeichnung ehrte. Dort war folgender Satz von ihrem musikalischen Weggefährten Dizzy Gillespie zu hören auf die Frage, wie Fitzgeralds Gesangstalent eigentlich einzuschätzen sei: „So weit kann man nicht schauen“, sagte er. „Ihr Talent ist wie der Horizont: Je näher Du ihm kommst, desto weiter entfernt er sich.“