Als Ouvertüre kreischte eine Motorsäge ihre Arie, dann fiel ein blätterloser Baum auf die Bühne. So begann „Orfeo Chamán“ 2014 im Teatro Mayor in Bogotá. Christina Pluhar hatte für die Deutung der antiken Sage ein ganz eigenwilliges Projekt aus Gesang, Tanz und Schauspiel erstellt und über das Libretto des kolumbianischen Dichters Hugo Chaparro Valderrama ein mitreißendes Pasticcio aus Barockmusik, südamerikanischen oder sizilianischen Volksliedern und eigenen Kompositionen gelegt.

Auf einer CD und einer Bonus-DVD mit der kompletten szenischen Produktion aus Kolumbien ist das Amalgam aus griechischer und lateinamerikanischer Mythologie nun nachzuhören und nachzusehen. Den Orpheus, der nicht bloß den endgültigen Verlust seiner Eurydike an die Unterwelt beklagt, sondern etwa auch die Ausbeutung der Natur in der Oberwelt, singt Nahuel Pennisi aus Buenos Aires. Seit seiner Geburt blind, hatte der heute 26-Jährige seine Karriere mit der Gitarre über der Schulter als Straßenmusiker begonnen. Erst mit dem Sieg beim größten argentinischen Folklorewettbewerb gelang ihm der Durchbruch, und schon mit seinem ersten Album „Primavera“ war er im Vorjahr für einen Latin Grammy nominiert.

Christina Pluhar, in Paris lebende Spezialistin für Alte Musik aus Graz
Christina Pluhar, in Paris lebende Spezialistin für Alte Musik aus Graz © Marco Borggreve

Dass Christina Pluhar auf seine faszinierende Naturstimme setzte, passt zu ihr, sucht die 51-Jährige doch mit gespitzten Ohren und offenem Geist immer neue Horizonte. Pennisi, der als Orfeo zum Schamanen und zum Konkurrenten seines Bruders Aristeo wird, bildet mit der chilenisch-schwedischen Mezzosopranistin Luciana Mancini als Euridice jedenfalls ein tief berührendes Liebespaar.

Pluhar und ihr Ensemble „L'Arpeggiata“ feierten mit „Orfeo Chamán“ international riesige Erfolge. Aber die Spezialistin an Laute, Theorbe und Harfe ist natürlich schon wieder etliche Schritte weiter. Derzeit zum Beispiel ist sie auf einer Australien- und Neuseeland-Tournee. Im September kommt sie mit dem herausragenden Countertenor Philippe Jarroussky und einem Purcell-Programm in den Grazer Musikverein. Und sie war auch schon wieder im Studio - mit dem Countertenor Valer Sabadus und Gianluigi Trovesi, dem italienischen Pan an der Jazzklarinette. Titel der CD mit Improvisationen über Opern namens „Rinaldo“ oder „Semele“: „Handel Goes Wild“. Wie auch anders?

CD-TIPP. Christina Pluhar und L'Arpeggiata. Orfeo Chamán.  Erato (CD+DVD)
CD-TIPP. Christina Pluhar und L'Arpeggiata. Orfeo Chamán. Erato (CD+DVD) © KK