1966 wurde Erik Schinegger Abfahrtsweltmeisterin in Portillo - und 1968 nach der Entdeckung seiner Intersexualität zum Mann. An diesem Pol scheidet sich das Leben des 69-Jährigen in ein Vorher und Nachher. Und dieser unglaubliche Lebensweg hat 2005 nicht nur Dokumentarfilmer Kurt Mayer und aktuell Regisseur Reinhold Bilgeri zur künstlerischen Reflexion bewogen, sondern auch Schinegger selbst.

Bereits zu seinem 40. Geburtstag 1988 veröffentlichte der Kärntner mit Marco Schenz "Mein Sieg über mich". Passend zum Filmstart von "Erika & Erik" am 2. März legt Schinegger nun mit "Der Mann, der Weltmeisterin wurde" (Amalthea Verlag) nach. Zur literarischen Unterstützung sprang diesesmal Claudio Honsal als Autor zur Seite, der bereits mit ähnlichen Projekten über Uwe Kröger oder Peter Alexander reüssieren konnte. Hinzu kommt ein Vorwort von Wegbegleiter und Skilegende Karl Schranz.

In seinem Werk zeichnet der Frauenweltmeister sein Leben unchronologisch nach, reist gedanklich vom Kärntner Bauernkind zum heute erfolgreichen Besitzer einer Skischule und "Dancing Stars"-Teilnehmer, der 2014 verletzungsbedingt ausscheiden musste. Dabei spielen durchaus Seitenarme wie sein Glaube an Gott, seine zweite Karriere als Sportlehrer und die Erinnerung an die Weggefährten eine Rolle. Schinegger macht sich Gedanken über Conchita, die er nicht mit sich vergleichen will, und tritt gegen das Splitten der Sprache auf.

Und doch kommt der Autor immer wieder auf die entscheidenden Aspekte zurück, die letztlich auch die Leserschaft am meisten fesseln: Eine Jugend als Pseudohermaphrodit, der mit nach innen liegenden, männlichen Geschlechtsorganen geboren wurde und die ersten 20 Jahre als Mädchen erzogen wurde. Eine Jugend, die den am 19. Juni 1948 geborenen Schinegger als Erika Schinegger 1966 in Chile zur Weltmeisterin in der Abfahrt werden lässt. Eine Jugend, die 1968 vor dem olympischen Rennen in Grenoble eine radikale Wendung erfährt, als der erste Chromosomentest in der Geschichte des Sports Schinegger klar als Mann ausweist.

"Auch mit beinahe siebzig Jahren gibt es immer wieder solche Momente, in denen sich meine Vergangenheit in mein Jetzt drängt", gesteht Schinegger ein, der nach seinen vier Operationen zweifacher Ehemann und Vater wurde. So berichtet er von einer Kindheit, die früh von dunklen Gedanken und verdrängten Ängsten geprägt war: "Mein Körper war mir schon immer etwas fremd gewesen." Auch das später folgende, schmerzhafte medizinische Prozedere erspart Schinegger weder sich noch seinem Leser.

So ist der 69-jährige Ex-Sportler offen mit sich, verschweigt auch nicht den Ausschwung des Pendels in die andere Richtung nach seiner offiziellen Mannwerdung. Von seinem Porsche, den er als "Krückstock" in die Männlichkeit mit 185 PS bezeichnet, reicht das Spektrum zu unzähligen Liebschaften in den aufgeschlossenen 1968ern: "Sexsüchtig, ja das war ich wohl." Er schildert aber auch, wie er später vom Macho zum Familienvater mutierte.

Ambivalent gestaltet sich nun, im Rentenalter, seine Bilanz, die zumindest auf die Gesellschaft bezogen skeptisch ausfällt: "Aus persönlicher Erfahrung kann ich nur sagen, dass sich nicht viel geändert hat, trotz aller Aufgeschlossenheit." Auf persönlicher Ebene hat sich Erik Schinegger allerdings mit den beiden Seiten seiner Vita angefreundet: "Wer hat schon das Glück, zwei solch intensive Leben erfahren zu dürfen?"

Erik Schinegger: "Der Mann, der Weltmeisterin wurde. Meine zwei Leben", aufgezeichnet von Claudio Honsal, Amalthea Verlag, 256 Seiten, 25 Euro.